Phantom
halb fünf tankte ich gerade an der Grove Avenue, als ein weißer Ford an der Zapfsäule hinter mir hielt. Marino stieg aus, zog seine Hose hoch und ging zur Toilette. Als er zurückkam, schaute er sich verstohlen um, als fürchte er, beobachtet zu werden. Dann kam er zu mir.
»Ich sah Sie zufällig hier stehen.« Er rammte seine Fäuste in die Taschen seines blauen Blazers.
»Wo ist Ihr Mantel?« Ich machte mich daran, die Windschutzscheibe zu säubern.
»Im Kofferraum. Ist beim Fahren nur im Weg.« Er zog die Schultern nach vorne, um sich gegen die feuchtkalte Luft zu schützen. Wenigstens regnete es nicht mehr. »Wenn Sie sich noch keine Gedanken darüber gemacht haben, wie Sie diesen Gerüchten entgegentreten können, dann sollten Sie schleunigst damit anfangen.«
Ich warf den Reinigungsschwamm in den Eimer zurück.
»Und was soll ich Ihrer Meinung nach tun, Marino?« fragte ich ärgerlich. »Jason Story anrufen und ihm sagen, es tue mir sehr leid, daß seine Frau und sein ungeborenes Kind tot sind, ich würde es jedoch begrüßen, wenn er seinen Zorn und seinen Gram an jemand anderem ausließe?«
»Doc, er macht Sie für alles verantwortlich!«
»Ich nehme an, daß mich nach der Lektüre der ›Post‹ viel e Leute für alles verantwortlich halten.«
»Sind Sie hungrig?«
»Nein.«
»Sie sehen aber hungrig aus.«
Ich schaute ihn an, als sei er übergeschnappt.
»Und wenn etwas für mich nach etwas Bestimmtem aussieht, dann ist es meine Pflicht, dem nachzugehen. Ich lasse Ihnen die Wahl, Doc: Entweder hole ich uns was aus dem Automaten da drüben, und wir kleckern uns im Auto die Klamotten voll, oder wir fahren rüber zu Phil. Auf jeden Fall besorge ich uns was zu essen.«
Zehn Minuten später saßen wir an einem Ecktisch und studierten die mit Karikaturen illustrierte Speisekarte, auf der es von Spaghetti bis zu gebratenem Fisch alles gab. Marino saß mit dem Gesicht zu der dunkel gebeizten Eingangstür, und ich hatte die Toilettentüren vor mir. Wie die meisten Leute um uns herum rauchte Marino, und meine Standhaftigkeit wurde wieder einmal auf eine harte Probe gestellt. Er hätte kein günstigeres Restaurant wählen können. Philip’s Continental Lounge war ein alteingesessenes Lokal, in dem sich Leute, die einander ein Leben lang kannten, regelmäßig trafen, um eine herzhafte Mahlzeit und ein Flaschenbier zu genießen – mich hätten sie nur erkannt, wenn mein Gesicht regelmäßig im Sportteil ihrer Lieblingszeitung erscheinen würde.
Marino klappte die Speisekarte zu. »Jason ist überzeugt, daß Susan noch leben würde, wenn sie einen anderen Job gehabt hätte – und damit hat er wahrscheinlich sogar recht. Er ist ein Verlierertyp – eines von diesen egozentrischen Arschlöchern, die glauben, daß an allem immer die anderen schuld sind. Dabei hat er sie auf dem Gewissen!«
»Sie glauben doch nicht, daß er sie umgebracht hat!«
Die Bedienung kam, und wir bestellten: Grillhähnchen und Reis für Marino, ein koscheres Chilidog für mich und Diätlimos für uns beide.
»Nein, er hat sie sicher nicht erschossen«, antwortete Marino. »Aber er ist Schuld an der Situation, die schließlich zu ihrer Ermordung führte.«
»Wie das?«
»Er hat zwar seinen Job verloren, aber seinen kostspieligen Geschmack hat er behalten. Der Kerl hat Ansprüche wie ein Großverdiener. Kurz nach seinem Rausschmiß ging der Knallkopf los, kaufte sich für siebenhundert Dollar eine Skiausrüstung und verbrachte das anschließende Wochenende in Wintergreen. Davor mußte es unbedingt eine Lederjacke für zweihundert Dollar sein und ein Fahrrad für vierhundert. Susans Einkommen reichte hinten und vorne nicht, um diesen Luxus zu finanzieren.«
Sie hatte mir gegenüber nie Geldprobleme erwähnt, aber ich hätte sie ahnen können. Sie verbrachte die Mittagspause grundsätzlich in ihrem kleinen Büro, und manchmal ging ich auf einen kurzen Plausch zu ihr. Jetzt erinnerte ich mich an die billigen Chips und die Sonderpreisetiketten auf ihren Mineralwasserflaschen.
»Seine Vorstellungen von Lebensqualität sind auch der Grund dafür, daß er Sie überall schlechtmacht. Sie besitzen ein Haus in Windsor Farms, fahren einen dicken Mercedes und haben einen hochdotierten Job. Ich fürchte, der Idiot glaubt, wenn er Ihnen die Schuld am Tod seiner Frau in die Schuhe schiebt, kann er irgendwas rausschlagen.«
»Das kann er versuchen, bis er schwarz wird.«
»Das wird er auch tun. «
Unsere Limonade kam, und ich wechselte
Weitere Kostenlose Bücher