Phantom
möglich?« fragte ich verblüfft, »Ein Fingerabdruck aus Jennifer Deighton’s Wohnung stammte von Waddell. Das hat Vander festgestellt, als er den Abdruck vor einer Woche per AFIS identifizierte.«
»AFIS stürzte am 16. Dezember um zehn Uhr sechsundfünfzig ab; genau achtundneunzig Minuten nach der Löschung des Eintrages von Waddell«, antwortete Lucy. »Die Datenbank wurde durch Sicherungsbänder wiederhergestellt. Dabei müssen wir berücksichtigen, daß die Tagesauszüge nur einmal täglich gesichert werden, nämlich spätnachmittags. Deshalb waren alle Änderungen vom Morgen des 16. Dezember noch nicht gesichert, als das System zusammenbrach. Damit wurde bei der Rekonstruktion der Datenbank Waddells Eintrag auch wiederhergestellt.«
»Vier Tage vor seiner Hinrichtung spielte jemand an seiner SID herum, und drei Tage nach der Hinrichtung wurde sein Eintrag gelöscht?«
»So sieht es aus. Aber mir ist nicht klar, warum diese Person den Eintrag nicht einfach sofort gelöscht hat. Warum wurde an der SID-Nummer manipuliert, um den Eintrag zu ändern und später zu löschen?«
Neils Vander hatte eine simple Antwort auf diese Frage, als ich ihn etwas später anrief.
»Es ist nicht ungewöhnlich, den Fingerabdruck eines Häftlings nach seinem Tode aus AFIS zu löschen«, erklärte er mir. »Der einzige Grund, die Abdrücke nicht zu löschen, wäre der Verdacht, daß sie im Zusammenhang mit einem ungelösten Fall auftauchen könnten. Aber Waddell war zehn Jahre im Gefängnis, er war zu lange aus dem Verkehr gezogen, um es sinnvoll erscheinen zu lassen, seine Fingerabdrücke aufzuheben.«
»Demnach kann die Löschung seines Eintrags am 16. Dezember eine Routinemaßnahme gewesen sein?« fragte ich.
»Durchaus. Aber am 9. Dezember, als Lucys Meinung nach die SID-Nummer geändert wurde, wäre sie das nicht gewesen, denn da lebte Waddell ja noch.«
»Neils, was halten Sie von der Sache?«
»Wenn Sie die SID-Nummer von jemandem ändern, ändern Sie damit seine Identität. Ich kann seine Fingerabdrücke finden, aber sobald ich die zugeordnete SID-Nummer eingebe , bekomme ich entweder überhaupt kein weiteres Materia l oder das von jemand anderem.«
»Sie haben den Fingerabdruck von Jennifer Deightons Eßzimmerstuhl aufgrund der SID-Nummer als den von Waddell identifiziert, aber jetzt hat sich herausgestellt, daß seine SID-Nummer geändert wurde. Also wissen wir nicht, wessen Abdruck es in Wahrheit ist.«
»Nein. Und ganz offensichtlich hat sich jemand große Mühe damit gemacht, daß wir es auch nicht herausfinden können.«
Während er sprach, zuckten Bilder durch meinen Kopf.
»Ich brauchte einen Abdruck, von dem zweifelsfrei feststeht, daß er von ihm stammt, aber ich wüßte nicht, wo wir den herbekommen sollten.«
Vor meinem geistigen Auge tauchten plötzlich ein Parkettboden, dunkle Holztäfelung und granatfarbenes eingetrocknetes Blut auf.
»Ihr Haus!« stieß ich hervor.
»Wessen Haus?« fragte Vander verdutzt.
»Robyn Naismiths Haus!«
Als Robyn Naismiths Haus vor zehn Jahren von der Polizei untersucht worden war, wurden weder Laserstrahlen noch Luma-Lite eingesetzt. Es gab damals noch kein DNS-Printing, noch kein Automated Fingerprint System in Virginia und auch keine Methoden, mit Hilfe von Chemie Blutspuren nach langer Zeit sichtbar zu machen. Ich hoffte inständig, daß letztere uns in diesem Fall helfen würde. Man kann Blut nicht durch noch so intensives Waschen oder Putzen völlig beseitigen, weil sich kleine Reste immer irgendwo erhalten. Auch wenn sie im Laufe der Zeit verblassen, verschwinden sie niemals gänzlich, und mit Hilfe von Chemikalien können solche Reste wieder sichtbar gemacht werden – mit großem Glück fänden wir auf diese Weise vielleicht sogar einen blutigen Fingerabdruck von Waddell.
Neils Vander, Benton Wesley und ich fuhren in westlicher Richtung zur University of Richmond hinaus, einer Ansammlung herrlicher georgianischer Gebäude, die in der Nähe von Three Chopt um einen See gruppiert sind. Dort hatte Robyn Naismith vor langer Zeit ihr Studium mit Auszeichnung abgeschlossen, und sie hatte die Gegend so liebgewonnen, daß sie später nur zwei Blocks vom Campus entfernt ein Haus kaufte. Es stand auf einem zweitausend Quadratmeter großen Grundstück und lud geradezu zu einem Einbruch ein: Der Garten stand voller Bäume, und hinter dem Haus boten zwei riesige Magnolien Deckung. Sicherlich hätten die Nachbarn, wären sie zu Hause gewesen, Waddell an jenem Morgen
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