Philippas verkehrte Welt
fürchtete sie, er könnte vergiftet sein. Dabei wanderte ihr Blick unablässig Ayo hinterher.
Nnekas Bruder trug eine helle Hose, eine taillenkurze helle Anzugjacke, ein schwarzes Hemd und eine brombeerfarbene Fliege. Eigentlich stand ich überhaupt nicht auf so feine Klamotten, aber ich fand, dass Ayo richtig klasse darin aussah. Er hatte die gleichen Augen wie seine Schwester, seine Haare waren allerdings sehr viel länger als ihre. Sie umspielten sein ovales Gesicht in wirren Locken und endeten in seinem Nacken als kleiner Zopf, in den bunte Perlen eingeflochten waren. Ich schätzte ihn auf ungefähr dreizehn Jahre, und soweit ich es beurteilen konnte, machte er seinen Job wirklich gut.
Während des Essens stellte uns Frau von Helsing eine Menge Fragen. So wollte sie beispielsweise wissen, wo wir zur Schule gingen, welches unsere Lieblingsfächer und unsere Hobbys waren, ob wir viele Freunde und an welchem Tag wir Geburtstag hatten.
»Ich gehe noch in den Kindergarten«, klärte Josefine sie auf. »Und der Kuschimuschi auch. Aber im Sommer komme ich in die Schule.«
»Oh«, sagte Frau von Helsing, »da freut der Kuschimuschi sich bestimmt schon. Oder darf er etwa gar nicht mit?«
»Klar darf er das«, erwiderte meine Schwester. »Oder?« Sie beugte sich tief über ihren Teller, damit sie an Krister vorbeigucken und mich ansehen konnte. »Oder?«, fragte sie noch einmal etwas fordernder.
»Am Anfang schon«, gab ich zurück. »Aber später, wenn ihr richtig Rechnen und Schreiben lernt, stören die Kuscheltiere nur. Und jetzt setz dich besser wieder gerade hin, sonst essen dir deine Haare noch das schöne Vanilleeis weg.«
Frau von Helsings Blick fiel auf mich. Sie nahm ihre Serviette und tupfte sich damit über die Lippen. Zwar hätte ich nicht gewusst, wofür, aber ich rechnete fest damit, dass sie mich zurechtweisen würde, und wurde ganz steif vor Anspannung. Doch sie tat es nicht, sondern lachte stattdessen laut heraus.
»Du gefällst mir, Philippa«, sagte sie dann auf einmal so liebevoll, dass ich vor Schreck beinahe vom Stuhl gerutscht wäre.
Für ein paar Sekunden war es ganz still im Raum. Ich bemerkte die Verwunderung in Mamas Gesicht und mein Vater sah ebenfalls ziemlich überrascht aus. Celia, die links von mir saÃ, bebte geradezu. Wahrscheinlich würde sie jede Sekunde explodieren und in diesem Fall hätte ich sie nur zu gut verstanden.
»Aha«, sagte Krister. »Und Josi und mich mögen Sie wohl nicht?«
»Wie bitte?« Irritiert wandte Frau von Helsing sich ihm zu.
»Ich habe gefragt, ob Sie nur Philippa mögen«, wiederholte Krister.
»Aber nein!« Celias Mutter lachte wieder, diesmal klang es allerdings ein bisschen gekünstelt. »Ich mag Kinder überhaupt sehr gern. Wenn ich beruflich nicht so eingespannt wäre, könnte Celia einen eigenen FuÃballverein gründen â so viele Geschwister hätte sie.«
Und dann fing Frau von Helsing an zu erzählen: von ihrem Mann, der den gröÃten Teil des Jahres unterwegs war, und von ihrer eigenen Firma, die sie vier Jahre vor Celias Geburt gegründet hatte.
Was für eine Firma es war, verstand ich nicht genau, nur dass es etwas mit Möbeln zu tun hatte, und es interessierte mich auch nicht. Die Unterhaltung am Tisch entwickelte sich nun allmählich zu einem Erwachsenengespräch. Irgendwann hörte ich gar nicht mehr richtig zu, sondern widmete meine Aufmerksamkeit meinen Geschwistern. Nachdem der Nachtisch abgeräumt worden war, musste man damit rechnen, dass ihnen langweilig wurde, und irgendwie fühlte ich mich dafür verantwortlich, darauf zu achten, dass die beiden keinen Unsinn anstellten.
Du gefällst mir, Philippa, hallte es in meinen Ohren nach.
Die Worte kreisten unablässig in meinem Kopf herum und hinterlieÃen einen unangenehmen Druck in meiner Brust. â Da war sie wieder, diese seltsam unbestimmte Ahnung, die mir seit Donnerstagabend so ein komisches Gefühl verursachte. Und plötzlich war ich mir ganz sicher: Mit dieser Frau von Helsing stimmte etwas nicht.
Erkaufte Freundschaft
Die erste Nacht in meinem neuen Bett war schrecklich ungewohnt. Ich konnte nicht einschlafen, weil ich den Blick durch mein Dachfenster in den Himmel und das leise Schnurren von Limette vermisste. Meine Gedanken kreisten um mein altes Zuhause, um Mariel und den nächsten Schultag,
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