Philippas verkehrte Welt
schoss mir in die Brust. Wie hatte sie nur behaupten können, ich würde lügen! Mama hatte Birgitta doch garantiert sofort alles haarklein erzählt, Mariel wusste also, dass ich die Wahrheit sagte. Gleich am Montag in der Schule würde ich sie zur Rede stellen. Dort konnten die drei Barbierellas nicht dazwischenfunken, dort musste Mariel mir zuhören, und schon begann ich, mir alles bis in die kleinsten Einzelheiten vorzustellen. Ein neues Leben zu beginnen, war ja gut und schön, bedeutete aber nicht, dass man Dinge aus dem alten nicht noch zurechtrücken konnte, bevor man es endgültig hinter sich lieÃ.
Ich war so tief in meine Gedanken versunken, dass ich gar nicht merkte, wie die Klaviertöne verklangen. Erst als meine Schwester begeistert in die Hände klatschte und rief: »Das war toll! Kannst du das noch mal spielen?«, schreckte ich auf.
»Nein, das kann ich nicht«, sagte Celia pikiert. Sie hatte sich vom Klavierhocker erhoben und stand jetzt einfach so da. Ihr Blick war ins Leere gerichtet, und ihre Arme hingen an ihrem Körper herab, als würden sie gar nicht richtig zu ihr gehören.
»Und wieso nicht?«, fragte Josefine.
»Weil ich es immer nur einmal spiele«, erwiderte Celia, und plötzlich sah sie mich an. Ihre Augen waren groà und blau, fast so wie die meiner Mutter, der Ausdruck, der darin lag, allerdings so eisig, dass es mir für einen Moment den Atem verschlug. »Spielst du auch ein Instrument?«, fragte sie mich.
»Ãhm â¦Â« Ich holte tief Luft und schüttelte das unbehagliche Gefühl, das von mir Besitz ergriffen hatte, energisch ab. So weit kam es noch, dass ich mich von dieser eingebildeten Schnepfe beeindrucken lieà â und wenn sie tausendmal die Tochter der Arbeitgeberin meines Vaters war! »Nein, das hat mich nie interessiert.«
Ein Lächeln zupfte an Celias Mundwinkeln. »Das wird meiner Mutter aber gar nicht gefallen«, sagte sie mit einer gewissen Genugtuung in der Stimme.
»Das muss es ja auch nicht«, erwiderte Mama freundlich. »Im Ãbrigen fände ich es nett, wenn du dich vorstellen würdest.«
»Ich bin Celia von Helsing«, blaffte Celia meine Mutter an. »Das können Sie sich ja wohl denken. Und jetzt folgen Sie mir bitte alle in den Speisesaal.«
Meine Eltern tauschten einen kurzen Blick, Mama mit hochgezogenen Brauen und Papa mit einem kaum merklichen Achselzucken.
»Mariel ist ja schon ziemlich doof«, sagte Josi und schlug mit ihrem Kuschelmuschelhasen nach Celia. »Aber ich finde, du bist noch viel doofer.«
»Ich kenne keine Mariel«, erwiderte sie, straffte ihre Schultern und wandte sich der Tür zu, die die Haushälterin zur groÃen Eingangsdiele hin offen gelassen hatte.
Widerwillig schloss ich mich meinen Eltern an, als ich aus den Augenwinkeln einen Schatten bemerkte, der hinter dem Flügel entlanghuschte. Einen Lidschlag später erschütterte eine ohrenbetäubende Abfolge von Missklängen den Raum.
Papa, Mama, Celia und ich wirbelten gleichzeitig herum. Wahrscheinlich sah es wie ein einstudierter Balletttanz aus. Josi krümmte sich vor Vergnügen. Offenbar hatte sie als Einzige mitbekommen, dass Krister sich an den Flügel herangeschlichen hatte. Jetzt schlug er wie ein dem Irrsinn verfallener Pianist mit seinen Handballen auf die Tasten ein.
»Bist du wahnsinnig geworden!«, keifte Celia. In einer Behändigkeit, die ich ihr gar nicht zugetraut hätte, sprang sie auf meinen Bruder zu, packte ihn am Pulli und zerrte ihn vom Hocker herunter. »Das ist ein Steinway.«
»Du blöde Kuh!«, brüllte Krister, der ziemlich hart mit dem Hinterteil auf den FuÃboden gerumst war. »Ist mir doch egal, was das für ein bescheuerter Steinhaufen ist!«
»Das ist überhaupt nicht egal!«, schimpfte Papa nun los. »Dieser Flügel ist mehr Geld wert, als ich in einem Jahr verdienen kann.«
»Mindestens«, protzte Celia. »AuÃerdem ist er jetzt vollkommen verstimmt. Es dauert eine Ewigkeit, bis ich â¦Â«
»Schon gut, mein Schatz, schon gut«, wurde sie von einer angenehm warmen Stimme unterbrochen, und wieder wirbelten wir alle gleichzeitig herum.
In der Tür stand eine groÃe, elegant gekleidete Frau mit welligen braunen Haaren und grünbraunen Augen. Ich fand nicht, dass sie irgendwie besonders aussah, aber sie lächelte freundlich und schien Krister
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