Philosophenportal
Novemberpogromen der Nazis nahmen die neuseeländischen Vertretungen Visumanträge an. Als der Krieg begann, war
auch diese Art der Hilfe nicht mehr möglich. Poppers Mutter war 1938 in Wien gestorben und seiner noch lebenden Schwester
war es gelungen, über Frankreich in die Schweiz zu gelangen.
Probleme der Logik und Wissenschaftstheorie traten nun endgültig in den Hintergrund. Das Buch, das Popper stattdessen von
1938 an in Angriff nahm, entstand unter den schwierigsten Umständen. Beim Schreiben stand ihm der Krieg immer vor Augen: Neuseeland
blieb zwar, obwohl Kriegsteilnehmer, lange als Schauplatz von Kämpfen verschont. Aber bis 1942 stießen die Japaner im Pazifik
vor, und es war keineswegs sicher, wie lange man in Neuseeland selbst noch unbehelligt arbeiten konnte.
An der Universität betrachtete man sein Projekt mit Misstrauen. Poppers Dozentenstelle war nicht für die Forschung, sondern
nur für die Lehre ausgeschrieben worden und die Universitätsleitung sah es höchst ungern, dass ein Ausländer, der als Lehrkraft
eingestellt worden war, seine Zeit mit Bücherschreiben verbrachte. Papier wurde während des Krieges rationiert und Popper
musste für jedes Blatt, das er aus der Universität mitnahm, bezahlen. Auch die Möglichkeiten, Literatur für seine Arbeit zu
beschaffen, waren äußerst begrenzt. Aus Wien hatte er nur wenige Bücher aus der Bibliothek seines Vaters retten können und
die spärlichen Bestände der Universitätsbibliothek in Christchurch halfen ihm kaum weiter. Literatur von außen zu beschaffen
erwies sich während des Krieges als beinahe unmöglich.
Auch seine privaten Lebensumstände waren dem Unternehmen nicht förderlich. Da sie sich beim Kauf ihres Hauses verschuldet |215| hatten und Briefporto und Telegramme viele Kosten verursachten, lebten die Poppers äußerst spartanisch. Sie sparten an allem:
an Heizkosten, an Kleidern und nicht zuletzt am Essen. Popper wagte es nicht, in der Mensa der Universität zu essen, und ernährte
sich, wie er in einem Brief erklärte, von Produkten aus dem eigenen Garten und einer »Diät aus Reis und Karotten«. Es war
ein im wörtlichen Sinne schmerzlicher Schreibprozess. Mangelnder Schlaf, mangelnde Ernährung und der bei Popper ohnehin ausgeprägte
Hang zur Hypochondrie erzeugten chronische Zustände der Depression und Verzweiflung, die sich in Briefen an Freunde entluden.
Seine Gesundheit litt und er musste sich immer wieder in ärztliche Behandlung begeben. Zeitweise sah er nur noch mit einem
Auge und durch einen Abszess verlor er neun Zähne.
Die beinahe tausend Seiten, die Popper neben seinen Lehrverpflichtungen schrieb, waren das Ergebnis einer ungeheuren Energieleistung.
Popper wurde, wie immer bei seinen Buchprojekten, von einem unbändigen Willen getrieben. Er war ein »Workaholic«, ein von
der Arbeit besessener Mann mit puritanischer Lebensführung. Er rauchte nicht, trank nicht und nahm an keinerlei Vergnügungen
teil. Gelegentliche Bergwanderungen waren die einzige Abwechslung, die er sich gönnte. Ansonsten schrieb er jede freie Minute,
auch nachts und am Wochenende, an dem Manuskript, das seine Frau Hennie mehrmals abtippen musste. Erst im Februar 1943 konnte
er die Arbeit abschließen.
Den Begriff der »offenen Gesellschaft« übernahm Popper von dem französischen Philosophen Henri Bergson. Inspiriert hatte ihn
dabei aber nicht die Philosophie, sondern seine eigenen Erfahrungen mit der englischsprachigen Zivilisation. Was »offene Gesellschaft«
im Alltag bedeutete, hatte Popper in Neuseeland und zuvor bei einem neunmonatigen Aufenthalt in England erfahren: Respekt
vor der Würde des Individuums, Freiheit, Weltoffenheit und vor allem ein politisches System, das sich der Kritik seiner Bürger
aussetzte. Popper sah sich selbst in der Tradition der Aufklärung, das heißt der Wahrung der Menschenrechte, der Toleranz
und der Gleichheit vor dem Gesetz. Für diese Ideale stand vor allem der |216| Name Immanuel Kants, des »Philosophen der Freiheit und Menschlichkeit«, dem er später die deutsche Ausgabe der
Offenen Gesellschaft
widmete.
Die offene Gesellschaft und ihre Feinde
besteht aus zwei Bänden, die sich beide mit herausragenden Vertretern der politischen Philosophie befassen: »Der Zauber Platons«
enthält eine kritische und provozierende Auseinandersetzung mit dem Verfasser der ersten uns überlieferten Staatsutopie. Der
zweite Band, »Falsche Propheten«, ist
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