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Theorien genau dann, wenn sie ein solches Scheitern erlauben, wenn sie also widerlegbar
oder, wie Popper sagt, »falsifizierbar« sind. Die Kritik, die Suche nach Widerlegbarkeit, wird damit zum Motor des menschlichen
Fortschritts. Eine kritische Vernunft, die sich um die Lösung konkreter Probleme bemüht, stand von nun an im Zentrum des Popperschen
Denkens.
Der Ruf, den er mit der
Logik der Forschung
erworben hatte, erlaubte es Popper, Kontakte zu knüpfen und im Ausland eine akademische Anstellung zu finden. Namhafte Philosophen
und Wissenschaftler wie Bertrand Russell, Niels Bohr oder Rudolf Carnap schrieben Gutachten für ihn, die ihm schließlich die
Stelle eines Philosophiedozenten am Canterbury College in Christchurch verschafften. Das in den dreißiger Jahren bedrohlich
sich verschärfende Klima des Nationalismus und Antisemitismus hatte ihn zu diesem Schritt veranlasst, aber auch die Gelegenheit,
an der Universität Fuß zu fassen.
Popper, wegen seiner österreichischen Herkunft in Neuseeland zunächst als »enemy alien«, als »feindlicher Ausländer«, eingestuft,
hielt sich in seinem Gastgeberland zunächst von der Politik fern. Er lebte zurückgezogen, widmete sich der akademischen Lehre
und arbeitete an einem Handbuch der Logik. Nach Neuseeland war er auch nicht als politischer Philosoph, sondern als aufgehender
Stern der Wissenschaftstheorie gekommen.
Dennoch hatte er ein Manuskript im Gepäck, in dem er seine Kritik am Kommunismus aufgearbeitet und durch die Erfahrung mit
dem in Mitteleuropa sich ausbreitenden Faschismus ergänzt hatte. Kommunismus und Faschismus waren für ihn durch gemeinsame |213| Grundüberzeugungen verbunden. Eine der wichtigsten davon nannte er »Historizismus«. Gemeint war damit der Glaube an die Gesetzmäßigkeit
und Voraussagbarkeit sozialer und geschichtlicher Abläufe. Zwischen dieser historizistischen Geschichtsauffassung und der
totalitären Bedrohung sah Popper einen engen Zusammenhang.
Kommunisten und Faschisten erhoben in ähnlicher Weise den Anspruch, Herren der Geschichte und des Schicksals der Völker zu
sein. Ob nun eine auserwählte Klasse oder eine auserwählte Rasse: Hitler und Stalin, angeblich Feinde, betrieben beide die
Vergötterung des Staates, die Verherrlichung des Krieges und die Verachtung des Individuums und seiner Freiheit. Statt eines
friedlichen, vom offenen Austausch der Ideen und Güter geprägten Zusammenlebens der Völker pflegten sie nationalistisches
Stammesdenken, das mit der Anmaßung verbunden war, »auserwählt« zu sein und auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen.
Das Manuskript, das Popper nach Neuseeland mitgebracht hatte, war ein Vortrag, den er 1936 in London gehalten und in dem er
sich mit den historizistischen Grundauffassungen auseinandergesetzt hatte. Er wurde einige Jahre später unter dem Titel »Das
Elend des Historizismus« veröffentlicht. Dabei übertrug er seine wissenschaftstheoretischen Erkenntnisse auf den Bereich der
Geschichte, der Sozialwissenschaften und des politischen Handelns.
Es gibt nach Popper keine historischen Gesetze, die sich in ihrem wissenschaftlichen Anspruch mit Naturgesetzen vergleichen
lassen. Wir können immer nur einzelne historische Tendenzen, aber niemals den Gang der Geschichte als Ganzes begreifen, wie
dies die großen Geschichtsphilosophen des 19. Jahrhunderts, Hegel und Marx, beansprucht hatten. Die Zukunft, das war Poppers feste Überzeugung, ist offen und hängt von
uns selbst ab. Wir sind nicht durch die Fesseln einer historischen Notwendigkeit gebunden.
Eine ausgearbeitete und in Englisch geschriebene Fassung von
Das Elend des Historizismus
hatte Popper 1938 abgeschlossen. Als er mit den Arbeiten zur
Offenen Gesellschaft
begann, stützte er sich auf die Thesen dieser Schrift, die erst 1944 erscheinen konnte.
Als nach der Annexion Österreichs immer mehr Hilferufe aus der |214| alten Heimat bei Popper eintrafen und Freunde, Bekannte und Verwandte ihn baten, für sie eine Einreisegenehmigung nach Neuseeland
zu erwirken, versuchte Popper zunächst, praktische Hilfe zu leisten. Er gründete mit Gleichgesinnten ein »jüdisches Flüchtlingskomitee«
und schaffte es immerhin, etwa sechsunddreißig Familien die Ausreise zu ermöglichen. Doch es war ein mühsamer Kampf mit der
Bürokratie. Neuseeland betrieb eine höchst restriktive Einreisepolitik und empfing Flüchtlinge nicht gerade mit offenen Armen.
Erst nach den
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