Philosophenportal
lange nach Beendigung des Bürgerkriegs
gegenüberstehen sollten: sittenstrenge Reformer und königskritische Adelige auf der einen Seite, Lebemänner und königstreue
Traditionalisten auf der anderen Seite.
Als Cromwells Puritaner gesiegt hatten und Charles I. am 30. Januar 1649 im Whitehall Palace Yard in London exekutiert wurde, war Locke Schüler der berühmten Westminster School. Von ihren
Fenstern aus konnte man die Hinrichtung beobachten. Die Schule galt als eine royalistisch gesinnte Bildungsstätte, ebenso
wie die Universität Oxford, auf der Locke von 1652 bis 1658 zum Wissenschaftler ausgebildet wurde. Zwar nahmen philosophische
Studien dabei einen großen Raum ein, doch wurde Locke nie ein reiner Fachphilosoph. Die englischen Universitäten bildeten
ihre Studenten zu Gentlemen |94| aus, die eine breite Bildung erworben hatten und sich auf dem gesellschaftlichen Parkett bewegen konnten. Im Gegensatz zu
seinem Vater war der junge Locke ein königstreuer Konservativer und befand sich damit ganz im Einklang mit dem akademischen
Establishment in Oxford. Entsprechend begrüßte er die Rückkehr der Stuarts auf den Thron im Jahr 1660.
Nach dem Studium nahm Locke zunächst eine Tutorenstelle in Oxford an, doch genügte ihm das akademische Leben nicht. 1665 ging
er als englischer Botschaftssekretär in das damals brandenburgische Kleve. Nach England zurückgekehrt, widmete er sich medizinischen
Studien und erwarb, obwohl er erst 1675 die offizielle Approbation erhielt, den Ruf eines fähigen Arztes.
In den frühen sechziger Jahren schrieb er mehrere Essays zur politischen Philosophie, die sich an die Theorie des Gesellschaftsvertrags
seines etwas älteren Landsmanns Thomas Hobbes anlehnten und in denen sich noch seine Vorliebe für einen starken Staat äußerte.
In seinem Hauptwerk
Leviathan
(1651) hatte Hobbes zwischen einem vorstaatlichen »Naturzustand« und einem staatlich organisierten Zustand unterschieden.
Der Übergang vom Naturzustand zum Staat erfolgt durch eine vertragliche Vereinbarung, die die Menschen auf der Basis der Freiheit
und Gleichheit eingehen.
Locke wurde ein Anhänger der Vertragstheorie, die Hobbes in die neuzeitliche Philosophie eingeführt hatte. Die durch sie begründete
These, dass sich die Legitimität politischer Herrschaft aus dem Willen der Menschen und nicht aus dem Willen Gottes ableitet,
wurde zum festen Bestandteil seiner Überzeugungen. In seinen frühen Essays trat er auch, wie Hobbes, für eine starke Staatsgewalt
ein. Er stimmte der These Hobbes’ zu, dass der Naturzustand der Zustand der Anarchie, des Chaos und der Rechtlosigkeit sei,
der nur dadurch beendet werden könne, dass die Menschen alle Rechte an einen Souverän abgeben, der mit unbeschränkter Gewalt
ausgestattet ist. Auch hier stand er also noch ganz auf der Seite des absolutistischen Königtums.
Dies änderte sich, als er 1667 Anthony Ashley Cooper, den späteren Grafen von Shaftesbury kennen lernte. Shaftesbury war einer der |95| prominentesten, einflussreichsten, aber auch einer der umstrittensten Politiker des Landes. Als Vertreter der Whigs setzte
er sich, im Gegensatz zu den konservativen Tories, für eine Begrenzung der königlichen Macht und für die Rechte der protestantischen
Freikirchen ein. Besonders engagiert vertrat er die britischen Handelsinteressen, die Öffnung der Märkte für britische Produkte
und die Erschließung neuer Kolonien. Auf dem politischen Parkett galt er als Hasardeur. Sein Ehrgeiz brachte ihm hohe politische
Ämter ein, aber er war auch an zahlreichen Komplotten beteiligt und geriet dadurch immer wieder mit dem König in Konflikt.
Zwischen 1677 und 1678 musste er sogar einmal für zwölf Monate im berühmten Londoner Tower einsitzen.
Shaftesbury wurde der Gönner und Protektor Lockes. Er machte ihn nicht nur zu seinem Hausarzt, sondern auch zu einem seiner
engsten Vertrauten. Durch ihn wurde aus dem konservativen Tory ein liberaler Whig, aus dem Universitätsdozenten ein Mann von
Welt und ein Philosoph von Rang. Shaftesbury vermittelte Locke politische Ämter und wissenschaftliche Ehren. So war es ihm
zu verdanken, dass Locke in die Royal Society aufgenommen wurde. In Shaftesburys Londoner Haus trafen sich regelmäßig einige
der besten Köpfe Englands. Locke führte hier wissenschaftliche Experimente durch und nahm an politischen und philosophischen
Diskussionen teil. Ohne diese anregende intellektuelle
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