Philosophenportal
Atmosphäre, die ihn nun umgab, wären viele seiner Schriften nicht entstanden.
Durch Shaftesbury wurde Locke auch in die Entscheidungsprozesse der englischen Politik miteinbezogen. Unter seinem Mentor
diente er zeitweise als Staatssekretär und war als solcher auch mit der Gründung englischer Kolonien befasst. Dieser Prozess,
von der ersten Ankunft der Siedler bis zur Entstehung politischer Institutionen und der Verabschiedung von Verfassungen, war
mit der Entstehung neuer Staaten und dem Übergang vom Naturzustand zu einem staatlichen Zustand im Gesellschaftsvertrag vergleichbar.
Die Beobachtungen und Erfahrungen, die Locke hier machte, fanden in seine politische Philosophie Eingang.
In den Schriften, die er in dieser Zeit verfasst, zeigen sich sowohl |96| sein neues liberales Gesicht als auch die politischen Rücksichtnahmen, die er nun üben muss. So tritt er in seinem
Essay über Toleranz
(1667) für freie Religionsausübung ein, nimmt allerdings die Katholiken aus. Er begründet dies damit, dass Katholiken sich
nur dem Papst und keinem weltlichen Herrscher unterordnen würden und damit eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden
seien. Hintergrund dieser heute etwas befremdlich anmutenden Ausnahme ist die englische Tagespolitik. Der 1660 wieder eingesetzte
Stuart-König Charles II., nominell ein Anglikaner, liebäugelte mit dem Katholizismus. Was aber schwerer wog, war die Tatsache,
dass er keine legitimen Nachkommen hatte und deshalb zu befürchten war, dass ihm sein katholischer Bruder James auf dem Thron
folgen würde. Dies wollten die Whigs um Shaftesbury und ein großer Teil der englischen Öffentlichkeit unbedingt verhindern.
Sie verfolgten deshalb eine radikal antikatholische und antipapistische Politik.
Im Misstrauen gegen Charles II. wurzelten auch die Ansichten, die die Whigs zum Problem der Legitimität von Macht hatten.
Diese Ansichten hat Locke mitformuliert und philosophisch untermauert. Er wurde, so würde man heute sagen, einer der wichtigsten
»Spindoctors« der Whigs. So betont er in seinem
Essay
, dass die Macht dem König ausschließlich zu dem Zweck verliehen wird, sie für das gesellschaftliche Wohl und den öffentlichen
Frieden einzusetzen. Ein katholischer König, der sich anmaßt, das Parlament nach Belieben entmachten zu können – so konnte
jeder Leser ergänzen –, bedeutet Bruch des öffentlichen Friedens, vielleicht sogar Bürgerkrieg, und verliert deshalb seinen Anspruch auf Legitimität.
Doch auch die Spindoctors der Tory-Seite blieben nicht müßig. Einer von ihnen, John Filmer, veröffentlichte 1680 sein Buch
Patriarcha
, in dem er den Nachweis versuchte, dass die königliche Macht ihre Legitimität von der väterlichen Gewalt herleitet, die Gott
Adam im Alten Testament verliehen hat. Politische Macht wurzelt nach Filmer also im »Patriarchat«. Sie ist eine Schenkung
Gottes und in ihrer Reichweite unbeschränkt. Adam hat sie an seine Nachkommen weitergegeben. Zu ihnen gehören auch die Monarchen.
Der Staat ist nichts anderes als eine größere Organisationsform der Familie, mit |97| dem König an der Spitze. Die Untertanen im Staat haben dem König in derselben Weise Gefolgschaft zu leisten wie die Mitglieder
einer Familie ihrem Familienoberhaupt. Filmers Schrift war unter den Tories außerordentlich populär und forderte eine Entgegnung
von seiten der Whigs geradezu heraus.
Sehr vieles spricht dafür, dass John Locke, wie andere Whig-Publizisten auch, sich in den Jahren 1680 bis 1682 daran machte,
Filmer zu widerlegen. Aus dieser Widerlegung entstand die erste Fassung der
Zwei Abhandlungen über die Regierung
. Sie enthielt jedoch nicht nur eine Kritik an Filmer, sondern auch eine Rechtfertigung der Revolution. Sie lieferte die philosophische
Begründung für den Sturz eines illegitimen Königs, ein Sturz, der im Jahre 1682 von Shaftesbury und seinen Anhängern auch
tatsächlich geplant wurde. Da die Pläne für den Putsch jedoch aufgedeckt wurden, musste Shaftesbury, als presbyterianischer
Pfarrer verkleidet, in die Niederlande fliehen, wo er wenige Monate später starb. Die Anhänger Shaftesburys, unter ihnen auch
Locke, hatten nun die Rache des Königs zu fürchten. An eine Publikation seiner Schrift war für Locke unter diesen Umständen
nicht mehr zu denken. So setzte er sich 1683 selbst in die Niederlande ab.
Zwei Jahre später trat das ein, was Shaftesbury und seine Gefolgsleute immer befürchtet hatten:
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