Philosophenportal
immer
mehr fasziniert als Pascals Gott.
Als sein vielleicht engster Geistesverwandter in der Moderne kann der dänische Theologe und Philosoph Sören Kierkegaard gelten,
der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vom Menschen verlangte, sich auch gegen die Regeln der Vernunft für eine religiöse Existenz und eine unmittelbare
Beziehung zu Gott zu entscheiden. Über Kierkegaard wurde Pascal einer der großen Anreger des Existentialismus des 20. Jahrhunderts. So kehrt sein Bild des Menschen, der verloren im Weltall steht und dennoch in der Suche nach Sinn seine Würde
bewahrt, in Albert Camus’
Der Mythos von Sisyphos
wieder.
Gerade in der Moderne haben die
Gedanken
mit ihrer schonungslosen Beschreibung der menschlichen Situation bei vielen einen Nerv getroffen. Nicht nur deshalb sind sie
ein klassisches Werk für Sinnsucher geworden, die die Philosophie nicht aus ihrer Verantwortung entlassen wollen, dem Menschen
Lebensorientierung zu geben.
Ausgabe:
BLAISE PASCAL: Über die Religion und über einige andere Gegenstände (Pensées). Herausgegeben und übersetzt von E. Wasmuth. Heidelberg: Lambert Schneider 1994.
|92| Spielregeln des Rechtsstaats
JOHN LOCKE: Zwei Abhandlungen über die Regierung (1690)
Die Wirkung, die philosophische Bücher auf das Leben der Menschen haben, lässt sich nur selten mit den Auswirkungen technischer
Erfindungen oder politischer Umwälzungen vergleichen. Wenn wir daran denken, welche Folgen die Erfindung der Glühbirne, der
Dampfmaschine oder des Computers für die modernen Gesellschaften hatte oder wie sich das Leben vieler Millionen Menschen durch
die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts veränderte, so kommt uns die Wirkung klassischer philosophischer Bücher eher vor wie die eines Weltrekords in
einer extravaganten Sportart, die von ein paar wenigen Exzentrikern betrieben wird und die es vielleicht einmal im Jahr in
die Spalten der Zeitung schafft.
Für John Lockes
Zwei Abhandlungen über die Regierung
trifft dies allerdings nicht zu. Diese in klarer und unprätentiöser Sprache formulierte Schrift, mit der die politische Philosophie
der Aufklärung beginnt, entstand nicht im akademischen Elfenbeinturm, sondern war Teil einer Debatte, die eine ganze Nation
mit Leidenschaft führte und in der der Autor eindeutig Partei ergriff. Locke begründete, warum Herrscher mit ihrer Macht nicht
tun können, was sie wollen, dass diese Macht vom Volk verliehen, nach bestimmten Regeln ausgeübt und gegebenenfalls an das
Volk zurückgegeben werden muss.
Nicht zufällig klingen diese Forderungen für uns ganz vertraut. Lockes Thesen zur Volkssouveränität, zum Naturrecht, zur Gewaltenteilung,
zum Privateigentum und zum Widerstandsrecht des Bürgers haben die Lunte an das System des Feudalismus und der absoluten Monarchie
gelegt und eine Entwicklung angeschoben, die bis zu den modernen demokratischen Verfassungsstaaten führt. Locke ist |93| der philosophische Vater der Menschen- und Bürgerrechte. Seine
Zwei Abhandlungen über die Regierung
formulieren die Spielregeln des modernen Rechtsstaats. Sie setzten damit Veränderungen in Gang, die das Selbstverständnis
jedes einzelnen Bürgers berührten.
Eine solche Wirkung wäre ganz im Sinne des Verfassers gewesen. John Locke war kein Schreibstubengelehrter und seine Interessen
und Tätigkeiten gingen weit über die Philosophie hinaus. Sein Leben spielte sich nicht am Rande, sondern mitten in der Gesellschaft
ab. Dass das Interesse für politische Verhältnisse dabei eine besondere Rolle spielte, war im England des 17. Jahrhunderts unvermeidlich. Religiöse Spaltungen, Bürgerkriege, Putsche und Revolutionen erschütterten das Land. Locke selbst
wurde 1632 in einem kleinen Dorf im Westen Englands geboren. Seine Familie gehörte dem aufstrebenden Bürgertum an und kam
durch den vom Großvater betriebenen Tuchhandel zu Wohlstand. Als Locke zehn Jahre alt war, schloss sich sein Vater als Offizier
der Parlamentsarmee Oliver Cromwells an, die gegen die Königspartei unter dem Stuart Charles I. kämpfte. Es war ein politischer
Kampf gegen die Ansprüche der absoluten Monarchie, aber auch eine religiöse Auseinandersetzung zwischen Puritanern und Angehörigen
der anglikanischen Staatskirche. Es ging um politische Mitbestimmung, um sozialen Aufstieg und um religiöse Toleranz. Zwei
unterschiedliche gesellschaftliche Mentalitäten stießen hier aufeinander, die sich auch noch
Weitere Kostenlose Bücher