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Philosophenportal

Titel: Philosophenportal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Zimmer
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geprägt.
    Für den Jansenisten Pascal stand die Gnade im Mittelpunkt seiner religiösen Überzeugungen. Er setzt damit die von Paulus und
     Augustinus begründete Tradition fort, nach der sich der Mensch so tief im Zustand der Sünde befindet, dass er sich nicht aus
     eigener Kraft daraus befreien kann. Demütigung der Vernunft und Aufwertung der nichtrationalen Erkenntnis und der Gnade –
     dies alles sind Thesen, die Pascal vor allem mit seinem großen Vorgänger Augustinus verbinden.
    Pascal bleibt sich aber dennoch bewusst, dass er sich mit seinen Thesen in einer öffentlichen Auseinandersetzung befindet
     und dass seine Leser vor allem im Kreis der Gebildeten zu finden sind. Deshalb lässt er sich in dem berühmtesten Abschnitt
     des Buchs, dem Abschnitt über die Wette, auf ein strategisches Experiment ein. In einer Auseinandersetzung mit einem weltlich-skeptischen
     Gesprächspartner, einem honnête homme, verzichtet er ganz auf Begriffe wie »Gnade« oder »Empfindung des Herzens«. Er stellt
     sich auf die kritische Grundhaltung seines Gegenübers ein und unternimmt es zunächst, ihm die Existenz Gottes auf dem Weg
     eines rationalen Wettkalküls nahe zu bringen.
    Gott steht außerhalb der »Ordnung des Geistes«: Einen »normalen« Beweis seiner Existenz oder seiner Nicht-Existenz kann es
     also nicht geben. Klar ist aber, dass Gott entweder existiert oder nicht existiert. In unserem Leben müssen wir uns für oder
     gegen Gott entscheiden. Die Freiheit, sich zu enthalten, gesteht Pascal nicht zu. Wir |90| befinden uns also in einer Wettsituation, in der wir entweder auf die Existenz oder die Nicht-Existenz Gottes setzen müssen.
     Und in dieser Wette geht es um unendlich viel: nämlich um die ewige Seligkeit. Es sieht so aus, als sei die Wahrscheinlichkeit,
     richtig zu tippen, 50:50.   Die Möglichkeit eines unendlichen Gewinns hebt nach Pascal aber jede Wahrscheinlichkeitsabwägung auf. Der Mensch muss also
     auf die Existenz Gottes setzen, weil der mögliche Verlust in gar keinem Verhältnis zum möglichen Gewinn der ewigen Seligkeit
     steht. Selbst die Vernunft, so hält Pascal seinem vernunftgläubigen Gesprächspartner entgegen, »treibt« den Menschen zum Glauben.
    Doch Pascals »Beweisführung« ist an dieser Stelle noch nicht zu Ende. Denn der Gesprächspartner, der honnête homme, kann sich
     nicht zur Wette entschließen und gesteht seine Unfähigkeit zu glauben ein. Nun empfiehlt Pascal einen »nichtrationalen«, lebenspraktischen
     Weg. Der Mensch soll so handeln, »als ob« er glaubt, er soll den Riten der Religion folgen und damit seine Leidenschaften
     verringern. Er soll sich erniedrigen, um so dem echten Glauben den Boden zu bereiten. Demut und Selbstbescheidung der Vernunft:
     Dies ist für Pascal ein Weg, der auch den Intellektuellen zum Glauben führen kann.
    Dieser Intellektuelle trägt selbst viele Züge des Autors. In den
Gedanken
ringt der Gläubige Pascal mit dem skeptischen Rationalisten, der er selbst war und von dem er sich lösen möchte. Die
Gedanken
zeigen dem Leser ein doppeltes, ein rational-argumentierendes und ein religiös-meditierendes, Gesicht. Und genau deshalb hat
     das Buch immer sowohl religiös als auch philosophisch-rational orientierte Leser in gleicher Weise angesprochen. Auch für
     die Nichtgläubigen unter ihren Verehrern sind die
Gedanken
ein Zeugnis der Hellsichtigkeit ihres Autors geblieben, der aus einer glänzenden Analyse der Situation des Menschen die falschen
     Schlussfolgerungen gezogen hat.
     
    Das Buch hat eine lange und komplizierte Publikationsgeschichte. Die erste, von Freunden besorgte Ausgabe von 1669   /   70 wurde vom Buchbinder willkürlich in fünf Abschnitte aufgeteilt. Spätere Herausgeber |91| haben das Textkonvolut immer wieder neu geordnet, die Texte auf jeweils andere Weise rekonstruiert und die Abschnitte nummeriert.
     So begegnen dem Leser bis heute unterschiedlichste Ausgaben.
    Dennoch haben die
Gedanken
von Anfang an eine weit über die philosophische Fachwelt hinausgehende Wirkung gehabt. In Frankreich erlangte das Werk schnell
     den Status eines Klassikers der Literatur. Die von Montaigne inspirierte freie literarische Form, besonders aber Pascals Menschenbeschreibung
     und Menschenbeobachtung haben die Moralistik von La Bruyère bis Chamfort beeinflusst. Pascal wurde damit nach Montaigne einer
     der Väter der philosophischen Anthropologie. Ungeachtet der religiösen Absichten des Buches hat Pascals Mensch die Leser

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