Philosophenportal
dagegen stellt sich gleich
im ersten Satz seines Buches auf die Seite der Freiheit und der Menschenwürde: »Die Sklaverei«, so hält er Filmer entgegen,
»ist ein so verächtlicher, erbärmlicher Zustand des Menschen und dem edlen Charakter und Mut unserer Nation derartig entgegengesetzt,
dass es schwer fällt zu begreifen, wie ein
Engländer
, geschweige denn ein
Gentleman
, sie verteidigen kann.« Sie sei, so formuliert er an einer späteren Stelle, ein »fortgesetzter Kriegszustand« zwischen einem
Eroberer und einem Gefangenen, aber kein Zustand, der in einer durch Recht und Gesetz geordneten Gesellschaft Platz habe.
Die gegenteilige These, dass nämlich Gott alle Menschen frei und gleich erschaffen hat, wird zur Grundlage seiner eigenen
politischen Philosophie, die er in der zweiten
Abhandlung
entwickelt.
Nachdem er sich in der ersten
Abhandlung
noch auf Filmers Ansatz eingelassen hatte, politische Herrschaft sei aus der Herrschaft eines Familienoberhaupts abzuleiten,
greift er nun diesen Ansatz an. |100| Denn für Locke sind die Aufgaben eines Königs und die eines Familienvaters völlig verschieden. Die elterliche Gewalt besteht
nach Locke lediglich darin, den Unterhalt der Familie und die Erziehung der Kinder zu sichern. Sie ist zeitlich begrenzt und
erstreckt sich auch nicht auf Leben und Eigentum der Familienmitglieder. Politische Herrschaft hat es, weit darüber hinausgreifend,
um den zeitlich unbegrenzten Schutz von Grundrechten wie Eigentum und Leben zu tun. Der Herrscher ist deshalb nur in einem
metaphorischen Sinn der »Vater« seines Volkes.
Damit ist Locke auch von Hobbes abgerückt, obwohl er die Idee des Gesellschaftsvertrags weiterhin vertritt. Hobbes’ Name taucht
in den
Abhandlungen
kaum auf, da sein Werk von den Zeitgenossen weitgehend totgeschwiegen wurde und weder bei den Whigs noch bei den Tories Resonanz
fand. Bei den Whigs war er unbeliebt, weil er die absolute Monarchie gerechtfertigt hatte. Da er aber andererseits, im Gegensatz
zu Filmer, die Herrschaftsgewalt des Königs nicht von Gott, sondern aus einem Vertrag herleitete, wurde er auch von den Tories
abgelehnt.
Locke verändert die Vertragstheorie von Thomas Hobbes in mehreren entscheidenden Punkten. Der Naturzustand ist für ihn kein
Zustand der Anarchie, sondern ein Zustand, in dem ein Naturrecht herrscht, das er als »Vernunftgesetz« bezeichnet. Von einem
»Naturrecht« hatte Hobbes nur in dem Sinn einer Erlaubnis gesprochen, sich im Naturzustand gegen andere zu behaupten und zu
wehren. Locke dagegen glaubt, dass das Vernunftgesetz den Menschen schon im Naturzustand zwingt, aus dem Stadium der Vereinzelung
herauszutreten und sich auf einen sozialen Zusammenhang mit anderen Menschen einzulassen. Jeder Mensch hat dabei von Anfang
an Grundrechte und erwirbt weitere Rechte und Ansprüche. So gibt es Eheverhältnisse und Siedlungsgemeinschaften. Es wird Land
bebaut und Waren werden getauscht. Einen solchen Naturzustand hatte Locke konkret vor Augen, wenn er an die Situation der
europäischen Siedler in Nordamerika dachte, die sich in einem Land ansiedelten, das nach europäischem Verständnis noch ohne
jede Staats- und Rechtsordnung war.
|101| Nach dem »Vernunftgesetz« hat der Mensch im Naturzustand drei grundlegende Rechte: das Recht auf Leben, das Recht auf Freiheit
und das Recht auf Besitz. Jeder hat zum Beispiel im Naturzustand das Recht auf angemessene Wiedergutmachung, wenn ihm ein
Schaden zugefügt wird. Dabei spielt das Grundrecht auf Besitz, das heißt auf Privateigentum, bei Locke eine besonders herausragende
Rolle. Mit ihm trägt er der Entstehung der neuen bürgerlichen Gesellschaften Rechnung, in denen mittelalterlich-feudale Besitz-
und Handelsbeschränkungen zunehmend in Frage gestellt wurden. England war in Westeuropa der Vorreiter einer Entwicklung, in
der freier Warenverkehr, Privatbesitz an Produktionsmitteln und Erschließung neuer Rohstoffmärkte zu dem führten, was Karl
Marx hundertfünfzig Jahre später als »Kapitalismus« bezeichnen sollte.
Locke war auch einer der ersten Philosophen, die den Besitz mit dem Faktor »Arbeit« verknüpften. So hat jeder ein Besitzrecht
an dem Land, das er selbst bebaut und bearbeitet hat. Auch hier nahm Locke ein Problem der amerikanischen Kolonisten auf,
die ihr Land »in Besitz« genommen hatten, ohne dass es schon eine staatliche Eigentumsordnung gab. Lockes Naturzustand kann
also nicht mit Chaos
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