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gleichgesetzt werden.
Locke unterscheidet zwei Stadien des Naturzustands: Im ersten beschränken sich die Menschen auf den Erwerb dessen, was sie
zum Leben brauchen. Im zweiten Stadium dagegen wird Geld als Tauschmittel eingeführt und damit die Möglichkeit geschaffen,
Werte anzuhäufen, die man gar nicht selbst verbrauchen kann. Mit der Einführung des Geldes entstehen nach Locke schon im Naturzustand
Ungleichheiten im Besitz. Er hat diese Ungleichheiten als ein notwendiges Übel akzeptiert, weil er in einer freien Geld- und
Warenzirkulation die Voraussetzung für eine produktive Volkswirtschaft sah.
Wenn es aber im Naturzustand bereits eine Gesellschaft gibt, in der rechtliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen existieren,
welchen Sinn hat dann noch ein Gesellschaftsvertrag, mit dem die Menschen Bürger eines Staates werden? Lockes Antwort ist
einfach: Nur der Staat mit seinen Institutionen kann das im Naturzustand geltende Vernunftgesetz auch durchsetzen. Grundrechte
zu haben |102| und diese Grundrechte gegenüber jedermann auch geltend machen zu können – dies sind für Locke zwei unterschiedliche Paar Schuhe.
Wenn jemand meine Kuh stiehlt, habe ich zwar das Recht, sie mir wiederzuholen, aber wer hilft mir, wenn der andere stark genug
ist, dies zu verhindern? Das Vernunftgesetz darf kein Papiertiger bleiben. Die Menschen wollen durch Institutionen gesicherte
Lebensverhältnisse, geschriebene und respektierte Gesetze, eine Polizei und unabhängige Gerichte. Der Naturzustand dagegen
ist wie ein Haus ohne Dach.
Auch für Hobbes war der Gesellschaftsvertrag das Mittel, Recht und Gesetz durchzusetzen. Doch Recht entstand für ihn erst
mit dem Vertrag selbst. Wo keine Macht ist, so Hobbes, gibt es auch kein Recht. Im Gegensatz zu Hobbes aber glaubt Locke,
dass das Recht nicht erst durch den Staat und seine Macht geschaffen wird. Mit dem Staat fängt nicht ein neues Recht an, sondern
das bereits geltende Recht, das Vernunftgesetz des Naturzustands, soll nun geschützt und gesichert werden. Das Naturrecht
wird bei Locke zu einem vorstaatlichen Vernunftrecht, das jeder staatlichen Gesetzgebung als Grundlage dienen muss. Ein Staat
ist erst dann legitimiert, wenn er dieses Naturrecht achtet.
Deshalb ist der Gesellschaftsvertrag für Locke nur gültig, wenn er die Grundrechte auf Freiheit, Leben und Besitz garantiert.
Die Menschen kommen in einem solchen Vertrag überein, die Macht zur Durchsetzung der Grundrechte an staatliche Institutionen
zu übergeben. Sie übergeben diese Macht jedoch nicht bedingungslos und nicht für immer, sondern als eine Art Vertrauensleihgabe.
Das englische Wort, das Locke benutzt, heißt »trust«. »Trust« ist der eigentliche Eckstein in seiner politischen Theorie.
In diesem »Vertrauen« ist sowohl der »consent«, die Zustimmung des Bürgers, enthalten als auch das Ziel des »public good«,
des öffentlichen Wohls, dem die Institutionen des Staats verpflichtet sind. Mit anderen Worten: Handelt ein Herrscher gegen
die Zustimmung der Mehrheit der Bürger, so hat er den Gesellschaftsvertrag gebrochen. Der Bürger bleibt der Souverän, von
dem alle Macht ausgehen muss. Locke wird damit zu dem eigentlichen Begründer der »Volkssouveränität«.
|103| Die Institution, in der sich diese Souveränität vornehmlich ausdrückt, ist die Legislative, also das gewählte Parlament als
Gesetz gebende Versammlung. Sie bleibt als Stimme des Volkes die »oberste Gewalt«. Sie kontrolliert die Exekutive, die ausführende
Gewalt, und hat das Recht, über die Verwendung von Haushaltsmitteln zu entscheiden. Locke hat sich damit in dem Kampf zwischen
Parlament und König, der sich in England durch das gesamte 17. Jahrhundert hindurchzog, eindeutig auf die Seite des Parlaments gestellt. Der König ist demnach nicht mehr befugt, das Parlament
willkürlich aufzulösen oder über den Kopf des Parlaments hinweg Steuergelder auszugeben. Der Legislative – und nicht der Exekutive
– fällt auch die Aufgabe zu, unabhängige Richter zu ernennen. Obwohl Locke die richterliche Gewalt noch nicht als eine dritte
Gewalt neben dem Parlament und der Regierung gesehen hat, ist er durch die von ihm geforderte Unabhängigkeit der Legislative
gegenüber der Exekutive doch zum Vater der modernen Gewaltenteilung geworden.
Damit hatte Locke eine Lehre von der Legitimität politischer Macht entwickelt, nach der eine Monarchie nur noch in eingeschränkter
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