Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Philosophenportal

Titel: Philosophenportal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Zimmer
Vom Netzwerk:
Form, das heißt als »konstitutionelle Monarchie«, möglich war. Das vom Parlament verabschiedete Gesetz hatte immer über der
     Regierung oder über dem König zu stehen. Vor allem aber enthielt die Theorie einen für Diktaturen revolutionären Sprengstoff.
     Wenn nämlich die Träger politischer Macht, sei es das Parlament oder die Regierung, diese nur auf Vertrauensbasis vom Volk
     entliehen haben, so kann ihnen das Volk bei einem Vertrauensbruch die Macht auch wieder entziehen. Locke begriff den Gesellschaftsvertrag
     als eine Art Handelskontrakt, in den die Beteiligten ihre Interessen einbringen, der aber auch wieder gekündigt werden kann,
     wenn diese Interessen nicht mehr gewahrt werden. Wenn der Staat seinen Ursprung in einem freiwilligen Zusammenschluss von
     Menschen hat, so kann er von Menschen auch wieder aufgelöst werden.
    Ein solcher Kündigungsgrund, ein Bruch des »trust«, liegt vor allem dann vor, wenn die Grundrechte auf Leben, Freiheit und
     Besitz verletzt werden. Dazu zählen auch Versuche der Exekutive, das Parlament als die Vertretung des Volkes zu umgehen oder
     zu entmachten, |104| wie James II. dies in den Augen der Whigs versucht hatte. Dem Bürger ein Kündigungsrecht gegen illegitime Herrschaft zu verleihen:
     Darin hatte ursprünglich das Hauptmotiv der Schrift gelegen.
    Deshalb rechtfertigt für Locke der Vertrauensbruch der staatlichen Institutionen, also ein Verstoß gegen das Naturrecht, den
     Widerstand der Bürger gegen den Staat. Ein Widerstandsrecht gegen Tyrannei war in der Philosophie nicht neu: Der bekannteste
     mittelalterliche Philosoph, Thomas von Aquin, hatte ein solches Recht dem Bürger bereits eingeräumt. Doch nie zuvor waren
     die Rechte des Bürgers so weit gefasst und die Grenzen des Machtmissbrauchs so eng gezogen worden wie bei Locke. Auch Locke
     dachte nicht daran, bei jedem Gesetzesbruch der herrschenden Politiker zur Revolution aufzurufen. Er hatte vielmehr einen
     dauernden und wiederholten Verfassungsbruch im Auge, der das Vertrauen der Bürger unterhöhlt.
    Dennoch enthalten die
Zwei Abhandlungen über die Regierung
die Rechtfertigung revolutionärer Gewalt unter bestimmten, klar definierten Bedingungen. An eine gewaltlose Absetzung von
     Diktaturen glaubte Locke nämlich nicht. Wenn dem Bürger Grundrechte entzogen werden, dann muss er auch das Recht erhalten,
     sich gewaltsam einer illegitimen Herrschaft zu entledigen. Lockes Devise lautet: Im Zweifelsfall für die Bürger und gegen
     die Machthaber. Es ist gerade diese Einsicht, die
Zwei Abhandlungen über die Regierung
Popularität verschafft hat: dass nämlich der Staat ein Werkzeug des Bürgers und nicht der Bürger ein Werkzeug des Staates
     ist.
     
    Lockes
Abhandlungen
erschienen, noch im Oktober des Revolutionsjahres 1689, anonym in London bei Awnsham Churchill, einem alten Whig, der sich
     nun offiziell »königlicher Buchhändler« nennen durfte. Auf dem Titelblatt stand allerdings die Jahreszahl 1690, was seitdem
     als offizielles Erscheinungsjahr gilt. Für die Zeitgenossen hatten die
Zwei Abhandlungen über die Regierung
die Glorreiche Revolution gerechtfertigt. Als Lockes Autorschaft zu Beginn des 18.   Jahrhunderts allgemein bekannt wurde, erregte das Buch, weit über England hinaus, auch internationales Aufsehen.
    |105| Es war die französische Aufklärung, die Lockes Philosophie im 18.   Jahrhundert auf dem europäischen Kontinent populär machte. Montesquieu entwickelte, auf Locke aufbauend, seine Theorie der
     Gewaltenteilung. Auch Voltaire und Rousseau benutzten Lockes Theorie als Waffe gegen das Ancien Régime und halfen damit, die
     Französische Revolution ideologisch vorzubereiten. Thomas Jefferson und Benjamin Franklin nahmen Lockes Ideen mit über den
     Atlantik und sorgten dafür, dass die Bill of Rights von 1776 und wenig später die amerikanische Verfassung im Geiste Lockes
     geschrieben wurden.
    Die großen Vertreter des Liberalismus des 19.   Jahrhunderts wie Alexis de Tocqueville und John Stuart Mill können mit Recht Locke als ihren Stammvater ansehen. Aber auch
     Karl Marx, der große Gegenspieler des Liberalismus, würdigte Locke als denjenigen, der Fragen der politischen Ökonomie in
     die Philosophie eingeführt hat. Im 20.   Jahrhundert konnte sich die Kritik an den totalitären Ideologien auf Locke und seine Lehre vom Naturrecht berufen. Und auch
     Lockes Versuch, Menschen- und Bürgerrechte mit Hilfe der Idee des Gesellschaftsvertrags zu begründen, erlebte

Weitere Kostenlose Bücher