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Antwort: Die Vernunft, die diese Fragen aufwirft, liefert uns keine Erkenntnisse. Sie verführt uns vielmehr
zur Spekulation.
|114| Kant erklärt damit die Tradition der Metaphysik von der griechischen Antike bis zum 18. Jahrhundert für gescheitert. Es war eine Tradition, die die Metaphysik eng mit der Theologie verbunden hatte. Seit Aristoteles
war die Frage nach Gott als dem ersten Beweger und der ersten Ursache der Welt eines der Hauptthemen der Metaphysik gewesen.
Doch nach Kant können wir niemals zu Erkenntnissen über Gott, Freiheit und Unsterblichkeit kommen, weil alles, was wir wirklich
wissen können, im Bereich der Erfahrungswelt liegt, im Bereich der sinnlichen Anschauung und Verstandeserkenntnis.
Für Kants Zeitgenossen, besonders wenn sie sich der Leibniz-Wolffschen Schulphilosophie verpflichtet fühlten, war dies wie
ein Donnerschlag. Moses Mendelssohn zum Beispiel, einer der wichtigsten deutschen Aufklärungsphilosophen, hatte noch 1767
ein Werk über die Unsterblichkeit der Seele veröffentlicht. Nun musste er zusehen, wie Kant seine Argumentation zerpflückte.
Kant wies darauf hin, dass es nicht genügt, den Begriff von Gott oder einer unsterblichen Seele zu haben. Die Existenz eines
Gegenstandes kann nicht durch Logik, durch begriffliche Analyse nachgewiesen werden. Wir brauchen Erfahrungsdaten. Genau solche
berechtigen uns aber nicht, auf die Existenz Gottes oder einer unsterblichen Seele mit Sicherheit zu schließen. Damit war
Kant für Mendelssohn der »Alleszermalmer«. Das Terrain, auf dem sich sichere menschliche Erkenntnis bewegen kann, ist – so
die Botschaft der
Kritik der reinen Vernunft
– wesentlich kleiner, als die meisten Philosophen zuvor dachten.
Den Unterschied zwischen einer »kritischen« Philosophie, die sich auf sicherem Fundament bewegt, und einer unkritischen Spekulation
versucht Kant auch durch die Abgrenzung der beiden Begriffe »transzendental« und »transzendent« zu verdeutlichen. Mit beiden
Begriffen wird etwas bezeichnet, das von der empirischen Erfahrung unabhängig ist. »Transzendent« ist alles, was jenseits
der sicheren Erkenntnis liegt und damit der Welt der Dinge an sich angehört, über die wir nichts wissen können. Der von Kant
geprägte Begriff »transzendental« bezieht sich hingegen auf die Erkenntniswerkzeuge, die der Mensch mitbringt, auf die, wie
Kant dies etwas schwerfällig ausdrückt, |115| »Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis«. Raum, Zeit sowie das Arsenal unserer Begriffe überhaupt: Sie sind für Kant »transzendental«.
Entsprechend nennt er die von ihm in der
Kritik der reinen Vernunft
entwickelte Erkenntnistheorie eine »Transzendentalphilosophie«. Sie hat keinen Anspruch mehr, Erkenntnisse über das »Transzendente«
zu liefern, sondern sie klärt uns darüber auf, welche Leistungen von den drei Erkenntnisvermögen – sinnliche Anschauung, Verstand
und Vernunft – erbracht werden. Die Lehre von Raum und Zeit als den Formen sinnlicher Anschauung nennt Kant »Transzendentale
Ästhetik«, die Lehre von den Verstandesbegriffen heißt »Transzendentale Analytik« und die Erörterung der Widersprüche, in
die sich die Vernunft verwickelt, wenn sie zu ihren Höhenflügen über Gott, Freiheit und Unsterblichkeit ansetzt, heißt »Transzendentale
Dialektik«. Kants barocke Begriffsarchitektur ist für heutige Leser etwas gewöhnungsbedürftig. Sie entsprang jedoch dem Bemühen,
für seine neuen Erkenntnisse eine passende Ausdrucksform zu finden, um sich von den Anmaßungen der alten Metaphysik abzusetzen.
Mit »Ästhetik« meint Kant, entsprechend der ursprünglichen Bedeutung des griechischen Wortes »aisthesis«, nichts anderes als
die »Lehre von der sinnlichen Anschauung«. Die »Transzendentale Ästhetik« nimmt den Gedanken auf, den Kant schon in seiner
Dissertation formuliert hatte: Raum und Zeit sind notwendige Vorstellungen »a priori«, also Vorstellungen, die »vor« aller
sinnlichen Anschauung liegen und diese erst möglich machen. Der Bereich der »Transzendentalen Analytik«, der Verstandesbegriffe,
ist jedoch erheblich umfangreicher. Dabei interessiert sich Kant vor allem für die so genannten »reinen Verstandesbegriffe«,
also jene Grundbegriffe, die das Gerüst unserer gesamten begrifflichen Erkenntnis ausmachen. Er nennt sie, einer alten philosophischen
Tradition folgend, »Kategorien«. Dazu gehören »Ursache« und »Wirkung«, aber auch zum Beispiel
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