Philosophenportal
die Dinge zeigt, wie sie sind, oder ob es nicht etwas zu ihnen
hinzutut, was nicht ihnen, sondern dem Auge gehört. Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft
Wahrheit ist oder ob es uns nur so scheint. Ist das Letzte, so
ist
die Wahrheit, die wir hier sammeln, nach dem Tode nicht mehr – und alles Bestreben, ein Eigentum |118| sich zu erwerben, das uns auch in das Grab folgt, ist vergeblich ... Mein einziges, mein höchstes Ziel ist gesunken, und ich habe nun keines mehr –«
Ist durch die »Kritik der reinen Vernunft« die Vernunft also endgültig zur Strecke gebracht worden? Sind Begriffe wie Gott,
Freiheit oder Unsterblichkeit nur noch Worthülsen? Kant selbst hat diese Frage mit Nein beantwortet. Er findet für die Vernunft
nämlich am Ende seines Werkes, in der so genannten »Transzendentalen Methodenlehre«, eine neue und, wie er glaubt, verlässliche
Verwendung. Die Vernunftideen Gott, Freiheit und Unsterblichkeit haben zwar als Gegenstände der Erkenntnis ausgedient, sie
sind aber als »regulative Ideen« notwendig für unser moralisches Handeln. Damit meint Kant: Diese Ideen brauchen wir als Richtschnur
unseres Handelns, weil wir sonst unser Selbstverständnis als moralisch zurechnungsfähige und verantwortliche Wesen und unsere
Zuversicht auf eine moralische Weltordnung aufgeben müssten.
Verantwortung gibt es aber nur, wenn man die Freiheit eines Handelnden voraussetzt. Unsere moralischen Gebote, in denen diese
Freiheit zum Ausdruck kommt, sind also Produkte der reinen Vernunft. Das bekannteste Beispiel dafür ist Kants moralisches
Grundgesetz, der kategorische Imperativ, den er allerdings nicht mehr in der
Kritik der reinen Vernunft,
sondern vier Jahre später in der
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
aufstellt: »Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.«
Indem er sich unter ein solches Vernunftgesetz stellen kann, zeigt der Mensch, dass er nicht nur den Gesetzen der Natur unterworfen
ist. Er ist auch, wie Kant dies in seiner
Kritik
nennt, Teil einer »moralischen Welt«.
Auch auf den Glauben an Gott und die Unsterblichkeit der Seele können wir als moralisch handelnde Wesen nicht verzichten.
In ihnen liegt nach Kant der einzige Garant dafür, dass wir auf eine Versöhnung zwischen Moral und Glückseligkeit in einem
jenseitigen Leben hoffen dürfen. Kant will die Kluft zwischen Glauben und Wissen damit nicht beseitigen: Die Ideen der Vernunft
gehören weiterhin der unerkennbaren Welt der Dinge an sich an. Aber |119| durch seine Fähigkeit, moralisch zu handeln, hat der Mensch eine Antenne zu dieser Welt, die ihn zum Glauben an diese Ideen
berechtigt.
Dass ohne Gott moralische Grundsätze ihrer wichtigsten Stütze beraubt sind, war im 18. Jahrhundert eine weit verbreitete Ansicht. Auch Kant wollte offensichtlich die Tür zur Religion nicht ganz zuschlagen. Nachdem
er den Theologen klar gemacht hatte, dass alle ihre so genannten rationalen Gottesbeweise auf Sand gebaut sind, hatte er nun
doch noch einen Trost für sie parat. »Wenngleich«, so Kant, »Metaphysik nicht die Grundfeste der Religion sein kann, so müsse
sie doch jederzeit als die Schutzwehr derselben stehen bleiben.« Aber auch dieser Trost hat nicht verhindern können, dass
die
Kritik der reinen Vernunft
bis heute als das wichtigste Scheidungsdokument zwischen Philosophie und Theologie angesehen wird.
Immanuel Kants
Kritik der reinen Vernunft
erschien 1781 bei Johann Friedrich Hartknoch, einem ehemaligen Studenten Kants, der in Riga einen kleinen Verlag gegründet
hatte. Ein Echo blieb zunächst aus. Die Zeitgenossen mussten dieses umfangreiche und komplexe Werk erst einmal verdauen. Doch
bis zum Ende des Jahrhunderts hatte sich die Transzendentalphilosophie als beherrschende Strömung in Deutschland durchgesetzt.
Sowohl die Philosophie Arthur Schopenhauers, der die
Kritik
als das bedeutendste Buch der neueren europäischen Philosophiegeschichte ansah, als auch der Deutsche Idealismus um Fichte,
Schelling und Hegel nahmen von Kant ihren Ausgang. Darüber hinaus wurde die klassische deutsche Literatur über Schiller und
Kleist von Kants
Kritik
beeinflusst. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert knüpften die so genannten »Neukantianer« wie Hermann Cohen, Leonard Nelson oder Ernst Cassirer an die Philosophie
Kants an.
Längerfristig erwiesen sich vor allem zwei Aspekte
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