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der Philosophie Kants als folgenreich: die kritische Grundhaltung, die
die Vernunft dem Prüfstein der Erfahrung aussetzt, und vor allem der Gedanke, dass unser Wissen von der Welt ein Akt der Konstruktion
ist, an dem |120| der Mensch aktiv beteiligt ist. Dies ist ein Gedanke, der sowohl in der modernen Erkenntnistheorie als auch in der modernen
Sprach- und Wissenschaftstheorie fruchtbar geworden ist.
Kant ist den Anmaßungen der menschlichen Vernunft entgegengetreten und hat gleichzeitig den Blick für ihre Kreativität und
Leistungsfähigkeit geöffnet. Mit seiner
Kritik der reinen Vernunft
wurde die Metaphysik endgültig vom Himmel der Spekulation auf die Erde der kritischen Prüfung geholt.
Ausgabe:
IMMANUEL KANT: Kritik der reinen Vernunft. Herausgegeben von J. Timmermann. Hamburg: Meiner 1998.
|121| Der große Wurf eines jungen Pessimisten
ARTHUR SCHOPENHAUER: Die Welt als Wille und Vorstellung (1819)
In Thomas Manns berühmtem Roman
Buddenbrooks
zieht eine der Hauptfiguren, der wohlhabende und erfolgreiche Lübecker Senator Thomas Buddenbrook, aus den tiefen Winkeln
seines Bücherschranks ein Werk, das ihm mehr zufällig beim Stöbern in die Hände gefallen ist. Er nimmt es mit in den Pavillon
in seinem Garten und liest darin. Thomas Buddenbrook befindet sich in einer Sinn- und Lebenskrise. Alter und Tod erscheinen
am Horizont, sein Sohn Hanno erfüllt nicht seine Erwartungen. Wozu lebt er? Wer wird sein Lebenswerk fortführen? Worin besteht
eigentlich der Sinn seiner rastlosen Tätigkeit?
Der Senator liest in einem Kapitel mit dem Titel »Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unseres Wesens an
sich«. Plötzlich überfällt ihn beim Lesen eine Art Erleuchtung: »Und siehe da: Plötzlich war es, wie wenn die Finsternis vor
seinen Augen zerrisse, wie wenn die samtne Wand der Nacht sich klaffend teilte und eine unermesslich tiefe, eine ewige Fernsicht
von Licht enthüllte.« Die Erkenntnis, dass alle Menschen in einer tieferen Einheit miteinander verbunden sind, dass der Tod
zwar unsere Individualität, aber nicht das Wesen des Menschen zerstört, dass der trügerischen Existenz in der Zeit die Erfahrung
des ewigen Eins-Seins folgt – all dies zeigt ihm wie in einem Brennglas sein Leben in einer umfassenden und tröstlichen Perspektive.
Das Werk, das ihm diese Perspektive vermittelt, ist Arthur Schopenhauers
Die Welt als Wille und Vorstellung
. Wenn auch Thomas Buddenbrook das Buch bald wieder zur Seite legt und nicht mehr |122| darauf zurückkommt – ganze Generationen von Lesern haben seine Erfahrung geteilt, dass Schopenhauers Hauptwerk mehr ist als
ein Tüfteln an schwierigen theoretischen Problemen. Hier geht es um »Weltanschauung« in einem ganz ursprünglichen Sinn, um
ein in allen Einzelheiten zusammenstimmendes Bild der Welt und der Stellung des Menschen in ihr.
Alle Teile des Buches scheinen in einer harmonischen Einheit miteinander verknüpft. Kunst, Moral, Wissenschaft und vor allem
die Natur – sie alle deuten nach Schopenhauer auf einen zunächst verborgenen Kern der Welt. Ihn offen zu legen ist die Absicht
des Buches. Schopenhauer ist ein Metaphysiker von altem Schrot und Korn. Ihm geht es um das, was die Welt »im Innersten zusammenhält«.
Auch wenn viele in diesem Werk Orientierung oder sogar Trost gefunden haben, so ist sein Grundtenor doch eher düster. Denn
die Wurzel allen Seins ist nach Schopenhauer nicht rational, sondern irrational.
Die Welt als Wille und Vorstellung
beinhaltet eine Abkehr von dem Glauben der Aufklärung an die Kraft der Vernunft. Es war der große Wurf eines jungen Pessimisten,
eines gerade dreißigjährigen Genies und Außenseiters, der im Geist der Romantik den Nachtseiten der menschlichen Existenz
bis auf ihren letzten Grund nachspürte.
Doch es war auch ein erfahrungsgetränktes Buch, das niemals versäumte, den konkreten Bezug zum Leben der Menschen herzustellen.
Dies lag unter anderem an der Art, wie der junge Schopenhauer zur Philosophie kam und wie er mit ihr umging. Der 1788 geborene
Sohn eines wohlhabenden Danziger Kaufmanns war nie ein typischer Akademiker. Aufgewachsen in den Handels- und Hafenstädten
Danzig und Hamburg, machte ihn sein praktisch orientierter Vater früh mit den harten Tatsachen des Lebens vertraut.
Eine solche Konfrontation mit dem Leben war es auch, die am Beginn seines philosophischen Nachdenkens stand. Der sechzehnjährige
Schopenhauer, der sich
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