Philosophenportal
»Substanz« und »Akzidens«, womit
unsere Art gemeint ist, an den Dingen einen wesentlichen Kern und wechselnde Eigenschaften zu unterscheiden. Kant stellt hier,
angelehnt an die Logik des griechischen Philosophen Aristoteles, ganze Kategorientafeln auf.
|116| In der »Transzendentalen Dialektik« setzt sich Kant mit den Argumenten des alten Rationalismus auseinander. Auch der Begriff
»Dialektik« hat bei ihm eine für uns ungewöhnliche Bedeutung. Er meint, auch hier auf den ursprünglichen Wortsinn zurückgehend,
das Für und Wider eines Streitgesprächs. Kant zeigt, dass es für die Existenz Gottes, die Annahme der Unsterblichkeit der
Seele und die Freiheit des Menschen genauso gute Gründe gibt wie dagegen. Die Vernunft verwickelt sich hier, weil sie den
Bereich der Erfahrung verlässt, in unlösbare Widersprüche.
In der
Kritik der reinen Vernunft
hat Kant seine »Revolution der Denkart« schließlich vollständig durchgeführt: Er übernimmt die Lösung, die er in seiner Dissertation
für die sinnliche Anschauung gefunden hatte, nun auch für den Verstand: Zu der »Erkenntnisbrille«, mit der wir die Welt wahrnehmen,
gehören nicht nur Raum und Zeit, sondern auch die Art, mit der wir die Welt mit Hilfe von Begriffen ordnen. Auch die Beziehung
zwischen Ursache und Wirkung zum Beispiel ist etwas, das wir von uns aus an die Dinge herantragen, das wir sozusagen auf die
Dinge und Vorgänge in der Welt projizieren. Grob gesprochen, stellt sich Kant den Erkenntnisprozess folgendermaßen vor: Wir
empfangen mannigfaltige sinnliche Eindrücke, das Rohmaterial, ohne das überhaupt keine Erkenntnis zustande kommt. Dieses Material
wird nun in mehreren Stufen zu einem Erkenntnisgegenstand geformt: zunächst durch eine räumliche und zeitliche Strukturierung
und danach durch die Anwendung von Verstandesbegriffen.
Die Sicherheit unserer Erfahrungserkenntnis liegt also in der Tatsache begründet, dass der Mensch mit einem Arsenal von Erkenntniswerkzeugen
ausgestattet ist, mit dem er sich die Welt konstruiert. Das, was wir »Welt« nennen, ist nicht etwas, das vor unser aller Augen
liegt, sondern etwas, an dessen Entstehen wir aktiv beteiligt sind. Hier liegt der Kern der neuen Erkenntnistheorie Kants:
Erkenntnis ist weder ein passives Aufnehmen von Daten noch das Ergebnis einer rein logischen Analyse. Es ist vielmehr ein
Prozess, bei dem zwei Seiten zusammenkommen: die Eindrücke, die wir von der Außenwelt empfangen, und die Ordnung, die der
Mensch mit Hilfe |117| seiner Erkenntniswerkzeuge in diese Eindrücke bringt. Keine dieser beiden Seiten kann alleine Erkenntnis hervorbringen. In
Kants Worten: »Anschauungen ohne Begriffe sind blind, Begriffe ohne Anschauungen sind leer.« Nur in ihrem Zusammenspiel entsteht
die Welt unserer Erkenntnis. Wir können uns dieser Erkenntnis sicher sein, weil wir an der Hervorbringung dieser Welt selbst
beteiligt sind.
Diese von uns mit hervorgebrachte Welt der Erkenntnis nennt Kant die »Erscheinungswelt«. Sie ist also die Welt, die uns in
unserer Erkenntnis »erscheint«. Wie die Welt »wirklich« ist, können wir nicht wissen. Über die Erkenntnis haben wir keinen
Zugang zur Welt der »Dinge an sich«. In seiner Dissertation hatte Kant noch angenommen, der Verstand hätte einen solchen Zugang.
Doch davon ist er nun abgerückt: Der Verstand bleibt nun ganz auf die Erscheinungswelt gerichtet. Nach der Welt der »Dinge
an sich« fragt die Vernunft, die, weil sie die Erscheinungswelt überschreitet, auch nie zu sicheren Ergebnissen gelangt.
Dies ist nun der endgültige Abschied von der Vorstellung einer »wahren« Welt im absoluten Sinne. Denn »Wahrheit« ist nunmehr
etwas Relatives: Sie bezieht sich immer auf den Rahmen, den unsere menschliche Erkenntnisfähigkeit abgesteckt hat. Wie eine
Welt außerhalb dieser Erkenntnisvoraussetzungen, die Welt der »Dinge an sich«, aussieht, darüber können wir nichts wissen.
Diese These Kants hat bei vielen seiner Leser geradezu einen Schock ausgelöst. Für einen der frühesten Rezipienten, den Dichter
Heinrich von Kleist, bedeutete sie sogar den Verlust einer sicheren Weltorientierung. In einem Brief vom März 1801 zog er
aus Kants Theorie folgende Schlussfolgerungen: »Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urteilen
müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch erblickten,
sind
grün – und nie würden sie entscheiden können, ob ihr Auge ihnen
Weitere Kostenlose Bücher