Phobia: Thriller (German Edition)
er tat.
Er faltete den Brief sorgfältig und steckte ihn in einen weißen Umschlag. Das Briefpapier war teuer gewesen und wog schwer in seiner Hand.
Zusammen mit einem weiteren steckte er den Brief in den hutschachtelgroßen Pappkarton, der vor ihm auf dem Tisch stand. Dann erhob er sich, nahm einen Klebebandroller und machte sich daran, den Karton zu verschließen. Er sah ein letztes Mal hinein, ehe er die Laschen umklappte und den Roller darüberzog.
Dann setzte er sich wieder, presste die Augen zusammen und versuchte den kalten Schauer zu ignorieren, der ihm wie Eiswasser die Wirbelsäule entlangkroch.
Das Bild des Kopfes mit den leeren toten Augen, der vom Boden des Kartons anklagend zu ihm hochgestarrt hatte, würde ihm nie wieder aus dem Sinn gehen.
»Es tut mir alles so leid«, flüsterte er. »Aber ich kann nicht anders.«
30.
In der schmalen Schachtel lag eine Uhr. Auf den ersten Blick sah sie aus wie eine gewöhnliche Herrenarmbanduhr mit schlichtem schwarzen Lederband. Sie lag auf einer feinen Watteschicht und zeigte mit der Rückseite nach oben.
Marks Name war in das Gehäuse eingraviert. Einfache schnörkellose Buchstaben. Keine Widmung, nur der Name.
Stirnrunzelnd nahm er die Uhr aus der Schachtel und entdeckte dabei einen filigranen Schraubenzieher, der im dämmrigen Licht der indirekten Wandbeleuchtung silbern in dem Wattebett schimmerte. Es war ein Werkzeug, wie es Uhrmacher benutzten.
Er drehte die Uhr um und wunderte sich noch mehr. Die Vorderseite mit der Zeitanzeige wurde von einer dünnen Metallplatte verdeckt, die seitlich mit vier winzigen Schrauben befestigt war.
Was hatte das zu bedeuten?
Das wird Ihnen der alte Dickschädel schon erklären , hatte Somerville gesagt, und Mark griff wieder zur Fernbedienung.
Erneut erschien Otis’ ausgemergelte Gestalt auf dem Bildschirm inmitten der Bücherwand. Zuerst saß er nur mit ausdrucksloser Miene da und nestelte am Verschluss einer kleinen Wasserflasche herum. Es schien, als warte er ab, ob Mark auch wirklich abgeschaltet hatte.
Dann verzog er das Gesicht zu einem faltigen Grinsen.
»Tja, Mark, da du mir immer noch zusiehst, wirst du mein Geschenk wohl angenommen haben.« In seiner Stimme schwang leiser Triumph. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr mich das freut. Denn weißt du, als ich seinerzeit auf die Idee für dieses Projekt kam, hätte ich mir nicht vorstellen können, wie wichtig es ausgerechnet für dich werden würde. Ich hatte damals gerade von meiner Krankheit erfahren und wie weit die Streuung der Metastasen bereits fortgeschritten war.«
Er zuckte seufzend mit den Schultern. »Vielleicht hätte alles einen anderen Verlauf genommen, wenn ich die Symp tome früher ernst genommen hätte, aber Ärzte sind nun einmal die schwierigsten Patienten. Das weißt du ja wohl selbst am besten. Oder hast du dich mittlerweile doch noch für eine Therapie entschieden? Wie ich dich zu kennen glaube, wohl eher nicht.«
Der Professor nippte an der Flasche, und es war nicht zu übersehen, wie sehr seine Hand dabei zitterte. »Jedenfalls wurde ich durch diese äußerst unerfreuliche Diagnose mit einer Tatsache konfrontiert, die wir alle so gern verdrängen«, fuhr er fort. »Wir werden geboren, um eines Tages zu sterben, und sehr oft geschieht dies früher als gedacht. Also beschloss ich, den fünf Personen, die mir am meisten bedeuten, etwas zu hinterlassen. Und damit kommen wir nun zurück zu dir. Denn irgendwie hat dich dein Schicksal, oder was auch immer man sonst dafür verantwortlich machen möchte, zu einer Art unfreiwilliger Hauptperson bei diesem Projekt gemacht.«
Otis hustete, und wieder kehrte für einen Augenblick der desorientierte Ausdruck in sein Gesicht zurück. Er legte den Kopf schief, als lauschte er einer Stimme, die nur er hören konnte, dann rieb er sich erneut die Schläfen, wobei Wasser aus der Flasche in seiner Hand schwappte.
Als er es bemerkte, sah er kurz zu dem Wasserfleck auf seiner Weste und verzog abfällig das Gesicht. Dann blickte er wieder in die Kamera und machte eine entschuldigende Geste.
»Ich muss mich kurz fassen, auch wenn es sehr viel zu dieser Uhr zu sagen gäbe.« Seine Stimme klang schwach, und ihm war anzusehen, dass er Schmerzen hatte. »Es ist eine Lebensuhr, Mark. Deine Lebensuhr. Sie zeigt die Zeit, die dir voraussichtlich noch auf dieser Welt bleiben wird. Die Berechnung erfolgte aufgrund meiner Forschungen über die Zusammenhänge zwischen Lebenswandel und durchschnittlicher
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