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Phönix

Titel: Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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sie nicht sonderlich. Sie waren nur hinter Rüstungsaufträgen her. Wären Sie damals von Privatkunden abhängig gewesen, hätte das eine sehr große Rolle gespielt. Ich weiß das.
    Ich wurde nämlich neunzehnhundertzweiundvierzig nach Washington beordert, um die Schrottsammlung anzukurbeln. Einer der Hauptgründe, warum diese Sammlung nicht recht vorankam, war der, daß die Leute nicht sicher waren, was Sie mit dem Schrott anfangen würden. Wir starteten eine Aufklärungsaktion, und die Bevölkerung kapierte die Sache. Ergebnis: das Vertrauen in die Stahlindustrie war wiederhergestellt, der Verwendungszweck des Schrotts war genau erklärt, und der Strom von Altmetall, der in Ihre Fabriken floß, war erheblich.«
    Ich machte eine kurze Pause, um zu verschnaufen und einen
    Schluck Wasser aus der Karaffe zu trinken, die vor mir stand. Aus dem Augenwinkel heraus konnte ich sehen, daß selbst Matt Brady mir zugehört hatte.
    »Vertrauen zu schaffen, meine Herren«, begann ich erneut, »das ist mein Beruf. Ich versuche, dazu beizutragen, daß die Leute gut von Ihnen denken. Ich könnte mit meinen Künsten vermutlich nicht mal einen Büchsenöffner für zehn Cents verkaufen. Aber wenn ich mit dem hier Erfolg habe, wird die Bevölkerung eine bessere Meinung von Ihnen haben, als sie sie im Augenblick hat. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden sich die vielen Dinge, die Sie herstellen, leichter verkaufen, wenn die Leute gut auf Sie zu sprechen sind. Ob Sie's wahrhaben wollen oder nicht, meine Herren, es ist für Sie ebenso wichtig wie für den Bonbonladen um die Ecke, daß Ihre Kunden Sie mögen. Und ob Sie es nun gern hören oder nicht, meine Herren, ich bin der Meinung, daß Sie nichts weiter sind als Geschäftsleute im größten Bonbonladen an der größten Ecke der Welt.«
    Ich nahm meine Unterlagen auf und steckte sie in die Aktentasche. Was mich anbelangte, so war die Sitzung beendet. Ich mußte erst gar nicht zu Chris am Ende des Tisches hinüberblicken, um das bestätigt zu bekommen, was ich bereits fühlte: In unseren Büchern würde eine halbe Million niemals in Erscheinung treten ...
    Als wir mit dem Aufzug nach unten fuhren, sprach Chris kein einziges Wort. Trotz des Sonnenscheins schien die Luft draußen kalt. Ich schlug meinen Mantelkragen hoch.
    Er winkte ein Taxi herbei. Ich wollte gerade einsteigen, als ich es mir plötzlich anders überlegte und ihm meine Aktentasche in die Hand drückte. »Fahren Sie zurück ins Büro, Chris, ich vertrete mir noch ein bißchen die Beine.«
    Er nickte, nahm die Aktentasche und bestieg das Taxi. Ich sah zu, wie es abfuhr, und tauchte zurück in die Menschenmenge auf der Fifth Avenue. Ich senkte den Kopf, vergrub die Hände tief in die
    Manteltaschen und setzte mich in Richtung Manhattan-Nord in Bewegung.
    Ich war doch der größte Dummkopf der Welt. Ich hätte vernünftiger sein sollen. Und trotzdem hätte ich es unter Umständen doch noch geschafft, wenn nicht Matt Brady gewesen wäre - mit seinen kalten Augen und seinem skeptischen Mund. »Nimm dich vor kleinen Männern in acht«, hatte Vater mal gesagt. Ein kleiner Mann mußte gewitzter sein, um zu überleben. Vater hatte recht. Matt Brady war ein kleiner Mann. Und gerissen. Er hatte mein Geschwätz glatt durchschaut. Ich begann ihn zu hassen. Er wußte alles, er hatte auf alles eine Antwort. Zumindest war er davon überzeugt. Aber er täuschte sich. Niemand wußte alle Antworten.
    Ich weiß nicht, wie lange ich so herumgelaufen war und in welcher Gegend ich mich befand. Aber plötzlich stand ich vor ihrem Hotel. Ich schaute an der Hausfront hinauf. Das goldene Zigarettenetui, das ich seit dem Morgen bei mir trug, fühlte sich kalt an.
    Sie stand schon an der Tür, als ich vom Aufzug aus den Gang entlang kam. Sobald ich ihr Gesicht sah, wußte ich, daß sie mich erwartet hatte.
    Ich folgte ihr ins Zimmer mit dem Zigarettenetui in der Hand.
    »Du hast es absichtlich im Wagen liegenlassen«, sagte ich.
    Sie nahm es mir schweigend ab, ohne etwas zu erwidern. Sie wich meinem Blick aus. »Vielen Dank, Brad.«
    »Warum?«
    Langsam drehte sie mir ihr Gesicht zu. Und wieder lag dieser verlorene Ausdruck in ihren Augen. Sie öffnete den Mund, als wollte sie etwas sagen, aber dann füllten sich ihre Augen mit Tränen. Ich streckte meine Arme aus, und sie schmiegte sich hinein, als würde sie dorthin gehören. Ihr Gesicht lag auf meiner Brust. Ihre Tränen schmeckten salzig.
    So stand ich eine ganze Weile und hielt sie fest.

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