Physiologie der Ehe (German Edition)
tiefen Kummer, mit dem ihn diese bittere Entdeckung erfüllte. Er liebte die Gräfin, und wenn seine Frau auch nicht gerade ›Grundsätze hatte‹ – wie man zu sagen pflegt –, so war sie doch erst seit zu kurzer Zeit verheiratet, als daß sie nicht noch an ihren Pflichten hätte festhalten sollen. Die Herzogin übernahm es, ihre Schwiegertochter auf ihren Herzenszustand hin zu prüfen. Sie war der Meinung, man dürfe von dieser jungen und zarten Seele noch etwas hoffen, und versprach ihrem Sohn, Herrn von B. rettungslos unmöglich zu machen.
Eines Abends war die Gräfin zum Dienst bei der Königin; die Spielpartien waren zu Ende, und die Damen hatten eine jener Plaudereien begonnen, in denen man dem lieben Nächsten Böses nachsagt. Diese Gelegenheit benutzte die Herzogin, um der Damenversammlung das große Geheimnis mitzuteilen, daß Herr von B. ihre Schwiegertochter liebe. Allgemeiner Aufstand! Die Herzogin ließ abstimmen, und es wurde einhellig die Meinung ausgesprochen: Die Dame, die es fertig brächte, den Offizier vom Hofe zu vertreiben, leiste damit der Königin Hortense, die ihn nicht ausstehen könnte, und allen Damen, die ihn – mit gutem Grunde! – haßten, einen ausgezeichneten Dienst. Die alte Dame bat um den Beistand der schönen Verschwörerinnen, und eine jede versprach, nach Kräften mitwirken zu wollen. Binnen achtundvierzig Stunden war die schlaue Schwiegermutter die Vertraute ihrer Schwiegertochter sowohl wie des Liebhabers geworden. Drei Tage später hatte sie dem Offizier Hoffnung auf ein Stelldichein nach einem Frühstück gemacht. Es wurde beschlossen, Herr von B. solle am Morgen in aller Frühe nach Paris abreisen und heimlich wiederkommen. Die Königin hatte die Absicht ausgesprochen, an diesem Tage mit ihrer ganzen Gesellschaft eine Wildsaujagd mitzumachen, und die Gräfin sollte ein Unwohlsein vorschützen. Da der Graf vom König Louis nach Paris geschickt war, machte man sich um ihn wenig Sorge. Um die ganze Heimtücke des Planes der Herzogin zu ermessen, müssen wir die Einrichtung der von der Gräfin im Schloß benutzten kleinen Wohnung kurz beschreiben. Sie lag im ersten Stock, über den Privatgemächern der Königin, und zwar am Ende eines langen Korridors. Man betrat unmittelbar vom Gang aus ein Schlafzimmer, an welches zur Rechten wie zur Linken je ein Kabinett anstieß, nämlich rechts ein Ankleidekabinett, links ein Boudoir, das die Gräfin sich kürzlich eingerichtet hatte. Der Leser wird wissen, was ein ›Kabinett‹ auf dem Lande bedeutet: dieses hatte nichts weiter als seine vier Wände. Sein ganzer Schmuck bestand in grauen Wandbezügen, und es enthielt bis jetzt nur einen kleinen Diwan und einen Teppich, denn die Möbel sollten erst in einigen Tagen geliefert werden. Hierauf hatte die Herzogin ihre boshafte Absicht gebaut; denn so unbedeutend diese Umstände dem Anschein nach waren, so vorzüglich paßten sie ihr in den Plan. Um elf Uhr stand in dem Zimmer ein leckeres Frühstück bereit. Der Offizier war auf dem Rückweg von Paris und zerfetzte mit Sporenstößen die Flanken seines Pferdes. Endlich kommt er an, übergibt das edle Tier seinem Bedienten, klettert über die Parkmauer, eilt in das Schloß und gelangt in das Zimmer, ohne auch nur von einem Gärtner, geschweige denn von sonst jemandem gesehen worden zu sein. Die Ordonnanzoffiziere trugen damals – wie wir für Leser bemerken wollen, die sich dessen nicht mehr erinnern sollten – sehr enganschließende Hosen und einen engen hohen Tschako, ein Kostüm, das sich ebenso wunderbar an einem Paradetage macht, wie es bei einem Stelldichein unbequem ist. Die alte Dame hatte die Unbequemlichkeit der Uniform mit in ihre Berechnung gezogen. Beim Frühstück herrschte eine ausgelassene Heiterkeit. Weder die Gräfin noch die Schwiegermutter tranken Wein; aber der Offizier, der das Sprichwort kannte, hielt sich recht eifrig an den Champagner und trank so viel, wie er glaubte, daß nötig wäre, um seine Liebe und seinen Geist anzufeuern.
Als das Frühstück zu Ende war, sah der Offizier die Schwiegermutter an, die, getreu ihrer Rolle als Helfershelferin, plötzlich sagte:
»Ich glaube, ich höre einen Wagen.«
Damit geht sie. Nach drei Minuten kommt sie wieder herein und ruft:
»'s ist der Graf!«
Und damit schiebt sie die beiden Liebenden in das Boudoir, indem sie sagt:
»Seid nur ruhig!« Und zum jungen Mann gewandt, fügt sie, mit einem tadelnden Blick für seine Unvorsichtigkeit hinzu: »Nehmen Sie doch
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