Physiologie der Ehe (German Edition)
sind bleich wie junge Mädchen, die durch den Tanz oder durch die Liebe ins Grab gebracht werden. Sie sind im reinsten Sinne des Wortes elegisch – in ihnen verkörpert sich die ganze Schwermut des Nordens.
Jene Frau da mit den schwarzen Haaren, mit dem durchdringenden Blick, mit der kräftigen Hautfarbe, mit den trockenen Lippen, mit der kräftigen Hand – sie muß heiß und konvulsivisch sein, in ihr verkörpert sich der Geist der klassischen Nervosität; eine junge Blonde dagegen mit weißer Haut ist die Verkörperung der romantischen Nervosität. Der einen gehört das Reich der Nerven, der andern das Reich der Vapeurs. Oft findet ein Gatte beim Nachhausekommen seine Frau in Tränen.
»Was hast du, mein lieber Engel?«
»Ich – ich habe nichts.«
»Aber du weinst ja!«
»Ich weine, ich weiß selber nicht warum. Ich bin so traurig! Ich habe Gesichter in den Wolken gesehen, und diese Gesichter erscheinen mir stets nur, wenn irgendein Unglück unmittelbar bevorsteht; ich werde wohl sterben ...«
Hierauf spricht sie mit leiser Stimme von ihrem verstorbenen Vater, von ihrem verstorbenen Onkel, von ihrem verstorbenen Großvater und von ihrem verstorbenen Vetter. Sie ruft alle diese beklagenswerten Schatten an, sie macht in Gedanken deren Krankheiten durch, sie wird von allen Leiden angegriffen, an denen diese gelitten haben, sie fühlt ihr Herz zu stark schlagen oder ihre Milz anschwellen ... Du sagst zu dir selber und machst ein selbstzufriedenes Gesicht dazu:
»Ich weiß wohl, woher das kommt!«
Nun versuchst du, sie zu trösten; aber da hast du eine Frau vor dir, die wie ein offener Koffer gähnt, die sich über die Brust beklagt, wieder zu weinen anfängt, dich anficht, du mögest sie mit ihren trübseligen Erinnerungen allein lassen. Sie spricht mit dir von ihrem letzten Willen, geht im Gefolge ihres eigenen Leichenbegängnisses, begräbt sich, pflanzt auf ihrem Grabe eine nickende grüne Trauerweide auf. Wo du ein fröhliches Hochzeitsgedicht vortragen wolltest, da findest du eine schwarze Grabschrift. Deine Anwandlung, sie trösten zu wollen, löst sich in Ixions Wolke auf.
Es gibt höchst ehrenwerte Frauen, die auf diese Weise ihren gefühlvollen Ehemännern Kaschmirschals, Diamanten, die Bezahlung ihrer Schulden oder das Geld für eine Loge in der Komischen Oper entlocken; aber fast immer werden die Vapeurs als Waffen im Entscheidungskampf des häuslichen Kriegs benutzt.
Auf ihre Rückenmarksschwindsucht und ihre angegriffene Brust sich berufend, sucht eine Frau Zerstreuungen; sie kleidet sich übertrieben warm, und du bemerkst in ihrer Toilette alle Anzeichen des Spleens; sie geht nur noch aus, wenn eine intime Freundin, ihre Mutter oder ihre Schwester sie von dem Diwan herunterholen, der ihr Leben verzehrt und auf dem sie ihre ganze Zeit damit hinbringt, Elegien zu dichten. Die gnädige Frau wird vierzehn Tage auf dem Lande verbringen, weil der Doktor dies anordnet, kurzum, sie geht, wohin sie will, und tut, was sie will. Würde jemals ein Mann so brutal sein, sich derartigen Wünschen zu widersetzen, eine Frau daran zu hindern, Heilung von so grausamen Leiden zu suchen? Denn das ist durch lange wissenschaftliche Debatten festgestellt worden, daß die Nerven fürchterliche Schmerzen verursachen.
Besonders aber im Bett spielen die Vapeurs ihre Rolle. Wenn eine Frau keine Migräne hat, so hat sie ihre Vapeurs; wenn sie weder Vapeurs noch Migräne hat, so steht sie unter dem Schutze des Venusgürtels, der, wie du weißt, eine Mythe ist.
Unter den Frauen, die mit Vapeurs gegen dich in die Schlacht ziehen, gibt es einige, die blonder, zarter, gefühlvoller sind als die andern und die Gottesgabe der Tränen empfangen haben, sie wissen so wunderbar zu weinen! Sie weinen, wann sie wollen, wie sie wollen und so lange sie wollen. Sie richten ein vollständiges Angriffssystem ein, das in einer erhabenen Resignation besteht, und die Siege, die sie erfechten, sind um so glänzender, weil sie dabei in guter Gesundheit bleiben.
Läßt nun ein Ehemann im höchsten Zorn sich hinreißen, seinen bestimmten Willen auszusprechen – dann sehen sie ihn mit unterwürfiger Miene an, neigen das Haupt und schweigen. Diese Pantomimik bringt fast immer einen Ehemann außer sich. Bei derartigen ehelichen Kämpfen hat ein Mann es lieber, wenn eine Frau spricht und sich verteidigt; denn dabei regt man sich auf, ärgert sich. Aber bei diesen Frauen gibt es so etwas nicht. Ihr Stillschweigen beunruhigt dich, und du empfindest
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