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Physiologie der Ehe (German Edition)

Physiologie der Ehe (German Edition)

Titel: Physiologie der Ehe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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hängt herunter, ein Buch liegt zu ihren Füßen, und ihre Tasse mit Lindenblütentee steht auf einem kleinen Tischchen. Nun stelle einen derben Burschen von Ehemann ihr gegenüber. Er ist fünf- oder sechsmal im Zimmer auf- und abgegangen, und jedesmal, wo er sich auf dem Absatz herumgedreht hat, um diesen Spaziergang fortzusetzen, hat die kleine Kranke die Augenbrauen zusammengezogen, um ihm – allerdings vergeblich – damit bemerkbar zu machen, daß das leichteste Geräusch ihr lästig ist; kurz und gut, er nimmt seinen ganzen Mut zusammen und wagt einen Protest gegen die List mit der kühnen Frage:
    »Aber hast du wirklich Migräne?« Bei diesen Worten hebt die junge Frau ein wenig ihr leidendes Köpfchen, hebt einen Arm, der schwach wieder auf den Diwan zurückfällt, hebt ein Paar erloschene Augen zur Zimmerdecke empor – mit einem Wort: hebt alles, was sie heben kann; hierauf, wirft sie dir einen trüben Blick zu und sagt mit merkwürdig schwacher Stimme:
    »Ach! Was sollte ich denn sonst haben? Oh! Beim Sterben braucht man nicht so zu leiden! Das ist also der ganze Trost, den Sie mir geben wollen! Ah! Man sieht wohl, ihr Herren, daß die Natur euch nicht das Amt gegeben hat, Kinder zur Welt zu bringen. Wie eigensüchtig seid ihr, wie ungerecht! Ihr nehmt uns in der ganzen Schönheit der Jugend, frisch, rosig, schlank gewachsen. Schön! Wenn ihr euer Vergnügen gehabt und die blühenden Gaben zerstört habt, die wir von der Natur empfingen, dann verzeiht ihr uns nicht, daß wir sie um euretwillen verloren haben! Das ist ja auch ganz in der Ordnung! Ihr gönnt uns weder die Freuden noch die Leiden unseres Frauenberufs. Ihr brauchtet Kinder – wir haben unsere Nächte geopfert, sie zu pflegen; aber in den Kindbetten haben wir unsere Gesundheit verloren und haben dafür den Keim der schwersten Leiden empfangen ... (Ach! diese Schmerzen!) ... Es gibt wenig Frauen, die nicht an der Migräne leiden; aber Sie verlangen, daß Ihre Frau eine Ausnahme bilden soll. Sie lachen sogar über ihre Schmerzen; denn von Edelmut wissen Sie nichts ... (Um des Himmels willen, gehen Sie nicht fortwährend!) ... Das hätte ich von Ihnen nicht erwartet ... (Bitte, lassen Sie die Uhr stillstehen; mir ist, wie wenn das Pendel in meinem eigenen Kopfe ticke. Danke.) ... O, wie bin ich unglücklich! Haben Sie nicht eine Riechessenz bei sich. Ja. Ach! Um der Barmherzigkeit willen lassen Sie mich allein leiden und gehen Sie, denn dieser Geruch sprengt mir den Kopf!«
    Was kannst du darauf antworten? Ruft dir nicht eine innere Stimme zu: »Aber wenn sie wirklich leidet ...?« Daher räumen denn auch fast alle Ehemänner ganz sachte das Schlachtfeld, und aus den Augenecken sehen ihre Frauen ihnen nach, wie sie auf den Fußspitzen hinausschleichen und leise die Tür ihres Zimmers zumachen, das von nun an ein geheiligter Ort ist.
    So ist also die Migräne, mag sie wahr oder falsch sein, bei dir eingebürgert. Von nun an beginnt die Migräne in deiner Ehe ihre Rolle zu spielen. Dieses Thema weiß eine Frau mit wunderbaren Variationen zu versehen; sie spielt es in allen Tonarten. Die Migräne allein genügt einer Frau, um ihren Gatten zur Verzweiflung zu bringen. Die Migräne befällt eine Frau wann sie will, wo sie will, so lange sie will. Es gibt Migränen von fünf Tagen und von zehn Minuten, es gibt chronische oder intermittierende.
    Manchmal findest du deine Frau im Bett, leidend, hinfällig – und die Fensterläden ihres Zimmers sind geschlossen. Die Migräne hat eine Totenstille hervorgezaubert, vom Hausmeisterstübchen an, wo Holz gespalten wurde, bis zur Dachluke, aus der dein Stallknecht unschuldige Strohbündel auf den Hof geworfen hatte. Von der Echtheit dieser Migräne überzeugt, gehst du aus; aber bei deiner Rückkehr erfährst du, die gnädige Frau habe das Haus verlassen! Bald darauf kehrt sie frisch und rosig zurück und sagt:
    »Dir Doktor ist dagewesen; er hat mir körperliche Bewegung angeraten, und der Spaziergang, den ich machte, hat mir außerordentlich gut getan!«
    Ein anderes Mal willst du bei deiner Frau eintreten.
    »Oh, mein Herr,« antwortet dir die Kammerzofe mit allen Anzeichen tiefsten Erstaunens, »die gnädige Frau hat ihre Migräne, niemals habe ich sie so leidend gesehen! Gerade eben ist zum Herrn Doktor geschickt worden. –«
    »Bist du glücklich,« sagte Marschall Augereau zum General R., »eine hübsche Frau zu haben!«
    »Haben!« erwiderte der andere. – »Ich habe meine Frau höchstens zehn Tage

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