Physiologie der Ehe (German Edition)
eine Art von Gewissensbissen, wie der Mörder, der bei seinem Opfer keinen Widerstand gefunden hat, von einer doppelten Furcht befallen wird. Er hätte lieber in der Notwehr morden mögen. Du kehrst wieder zu ihr zurück. Als deine Schritte sich nähern, trocknet deine Frau ihre Tränen und verbirgt ihr Taschentuch – aber so, daß du sehen mußt, daß sie geweint hat. Du bist gerührt. Du flehst deine Karoline an, sie möchte doch sprechen; in der Bewegung deines gefühlvollen Herzens vergißt du alles; da schluchzt sie sprechend und spricht schluchzend – mit einer mühlradartigen Beredsamkeit; sie macht dich ganz betäubt mit ihren Tränen, mit ihren verworrenen Gedanken, mit ihren abgebrochenen Sätzen: es braust über dich her wie ein Mühlradgeklapper, wie ein Wasserfall.
Die Französinnen, und besonders die Pariserinnen, verstehen sich wunderbar auf derartige Szenen, denen ihre ganze Naturanlage, ihr Geschlecht, ihre Toilette und ihre ganze Sprechweise ungeahnte Reize verleihen. Wie oft ist nicht auf dem kapriziösen Antlitz einer solchen anbetungswürdigen Komödiantin ein boshaftes Lächeln an die Stelle der Tränen getreten, wenn sie sieht, wie ihr Ehemann eilfertig bemüht ist, das schwache Seidenband zu zerreißen, das ihr Mieder zusammenhält, oder den Kamm wieder festzustecken, der ihre Haare zusammenhielt, die stets in Tausenden von goldenen Locken sich auflösen möchten!
Aber alle diese Listen der Neuzeit sind nichts gegen den Geist des Altertums, gegen die unwiderstehlichen Nervenanfälle, den Waffentanz der Ehe!
Oh! Welche Wonnen versprechen einem Liebhaber die Lebhaftigkeit dieser zuckenden Bewegungen, das Feuer dieser Blicke, die Kraft dieser Glieder, die selbst in solchem Anfall noch anmutig bleiben! In solchen Krisen wälzt sich eine Frau auf der Erde mit der Unwiderstehlichkeit eines Sturmwindes, lodert empor wie die Flammen einer Feuersbrunst, wird sanft wie eine Welle, die über weiße Kiesel dahingleitet – sie unterliegt einem Übermaß von Liebe, sie sieht die Zukunft, sie prophezeit. Vor allem aber sieht sie die Gegenwart, sie streckt einen Ehemann besiegt zu Boden und flößt ihm eine Art von panischem Schrecken ein.
Oft braucht ein Mann nur ein einziges Mal seine Frau gesehen zu haben, wie sie drei oder vier kräftige Männer beiseite schob, wie wenn es Federn gewesen wären. Er wird niemals wieder versuchen, sie zu verführen. Er wird sein wie ein Kind, das einmal an einer Kurbel einer gefährlichen Maschine gedreht hat, so daß diese sich in Bewegung setzte, und das seitdem einen unglaublichen Respekt vor der alltäglichsten mechanischen Vorrichtung hat. Ich kannte einen Ehemann, einen sanften und friedfertigen Herrn, der mit seinen Augen beständig an den Augen seiner Frau hing – gerade wie wenn man ihn in einen Löwenkäfig gesteckt und ihm gesagt hätte, wenn er die Bestie nicht reize, so würde er mit dem Leben davonkommen.
Die Nervenanfälle sind aber sehr anstrengend und werden von Tag zu Tag seltener; die romantische Nervosität wiegt vor.
Es hat zwar einige phlegmatische Ehemänner gegeben, die zu jenen Männern gehören, die lange lieben, weil sie mit ihren Gefühlen haushälterisch umgehen; diese haben über Migräne und Nervosität zu triumphieren gewußt; aber derartige erhabene Menschen sind selten. Als getreue Schüler des braven Sankt Thomas, der den Finger in Christi Wunde legen wollte, besitzen sie die Ungläubigkeit eines Atheisten. Unerschütterlich inmitten aller Tücken der Migräne und aller Fallen der Nervosität jeder Art, konzentrieren sie ihre Aufmerksamkeit auf die Szene, die ihnen vorgespielt wird; sie prüfen die Schauspielerin, sie suchen eine der Triebfedern ihrer Handlungsweise zu entdecken; und wenn sie den Mechanismus der Kulissenschieberei herausgefunden haben, machen sie sich den Spaß, irgendeinem Gegengewicht einen leichten Druck zu geben, wodurch sie sich sehr leicht davon überzeugen, ob die Krankheiten echt sind oder ob nur eine Ehestandskomödie gespielt wird.
Sollte aber durch eine Anspannung seiner Aufmerksamkeit, die vielleicht über menschliche Kräfte hinausgeht, ein Ehemann allen diesen Ränken entgehen, die eine unzähmbare Liebe den Frauen eingibt, so muß er doch durch den Gebrauch einer furchtbaren Waffe besiegt werden – der letzten Waffe allerdings, zu der eine Frau greift, denn sie wird stets nur mit einem gewissen Widerstreben ihre Herrschaft über den Gatten selber zerstören; aber es ist eine vergiftete Waffe, die
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