Physiologie der Ehe (German Edition)
einen schaudern machen. Daher hat, soweit nur die Verhältnisse des Daseins in Betracht kommen, ohne Zweifel eine Frau hundertmal recht, wenn sie das Unglück der Tugend erwählt und die Glückseligkeiten des Verbrechens verschmäht. Fast allen wiegt jedoch die Ekstase einer halben Stunde alle Leiden der Zukunft und endlose Ängste auf. Wenn der lebenerhaltende Trieb, der alle Kreatur beseelt – die Todesfurcht – sie nicht zurückhält: was soll man dann von Gesetzen erwarten, die sie auf zwei Jahre zu den Madelonnettes [Fußnote: Pariser Besserungshaus für gefallene Frauenzimmer.] schicken? O großartige Ruchlosigkeit! Aber wenn man dann daran denkt, daß der Gegenstand dieser Opfer einer unserer Brüder ist, ein Herr, dem wir nicht unser Vermögen anvertrauen würden – wenn wir welches haben –, ein Mensch, der seinen Überrock zuknöpft wie wir alle: dann möchte man ein Gelächter anschlagen, das vom Luxembourg in ganz Paris zu hören wäre und sogar noch auf Montmartre einen Esel erschreckte, der friedlich auf seiner Weide ginge.
Man wird es vielleicht sehr sonderbar finden, daß wir in diesem Buch über die Ehe so viele fremde Gegenstände gestreift haben; aber die Ehe ist nicht nur das ganze menschliche Leben – sie bedeutet zwei Menschenleben. Und wie von der Lotterie für die Hinzufügung einer einzigen Zahl im Gewinnfall das Hundertfache ausgezahlt wird, so werden auch die ohnehin schon so mannigfaltigen Zufälle des menschlichen Lebens in einer erschreckenden Progression vervielfältigt, wenn mit einem Leben ein anderes Leben vereinigt wird.
Die letzten Symptome
Der Verfasser dieses Buches ist in der Welt so vielen Leuten begegnet, die von einer Art Fanatismus für richtige Zeit, für mittlere Zeit, für Sekundenuhren und für Pünktlichkeit in ihrem ganzen Dasein besessen waren, daß nach seiner Meinung diese Betrachtung für die Ruhe einer großen Zahl von Ehemännern zu notwendig ist, um sie auslassen zu können. Es wäre grausam gewesen, Menschen, die durchaus alles genau auf die Stunde wissen müssen, einen Kompaß vorzuenthalten, nach dem sie die letzten Abweichungen vom ehelichen Zodiakus beurteilen und genau den Augenblick bestimmen können, in dem das Zeichen des Minotauros am Horizont erscheint.
Die ›Bestimmung des Ehebettes‹ erforderte vielleicht eigentlich ein Buch ganz für sich, so genau und sorgfältig müssen die Beobachtungen gemacht werden. Der Magister gesteht, daß er in seinen jungen Jahren bisher nur sehr wenig Symptome hat sammeln können; aber er empfindet einen gerechten Stolz, daß er hier, wo er beim Schluß seiner schwierigen Unternehmung anlangt, darauf aufmerksam machen kann, daß er seinen Nachfolgern einen neuen Gegenstand der Untersuchung hinterläßt, und daß bei einem dem Anschein nach so abgenutzten Stoff nicht nur lange nicht alles gesagt war, sondern daß noch sehr viele Umstände aufzuklären bleiben. Er überliefert also hier, ohne Ordnung und ohne verknüpfendes Band, die unförmlichen Elemente, die er bis zum heutigen Tage hat sammeln können; doch hofft er, er werde Muße finden, sie später zu ordnen und zu einem vollständigen System auszuarbeiten. Sollte er zugunsten dieses im besten Sinne nationalen Unternehmens voreingenommen sein, so glaubt er doch – ohne befürchten zu müssen, dieserhalb der Eitelkeit geziehen zu werden – an dieser Stelle auf die natürliche Einteilung dieser Beobachtungen hinweisen zu müssen. Sie scheiden sich notwendigerweise in zwei Arten: die einhörnigen und die zweihörnigen. Der einhörnige Minotauros ist der weniger bösartige: die beiden Schuldigen halten sich an die platonische Liebe, oder zum mindesten hinterläßt ihre Leidenschaft keine Spuren, die noch in der Nachwelt sichtbar sind; der zweihörnige Minotauros dagegen ist das Unglück mit allen seinen bösen Früchten.
Wir haben die Symptome, die uns diese letztgenannte Art zu betreffen scheinen, durch ein Sternchen bezeichnet.
Minotaurische Beobachtungen
* I. Wenn eine Frau ihrem Ehemann, nachdem sie lange Zeit von ihm getrennt gewesen war, gar zu auffällig entgegenkommt, um ihn zur Liebe zu verlocken, so handelt sie nach dem Grundsatz des Seerechts: die Flagge deckt die Ware.
II. Eine Frau ist auf dem Ball; eine ihrer Freundinnen kommt nach ihr und sagt zu ihr:
»Ihr Mann hat recht viel Geist.«
»Finden Sie? ...«
III. Deine Frau findet, es sei an der Zeit, euer Kind, von dem sie sich bis dahin niemals trennen wollte, in Pension zu geben.
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