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Physiologie der Ehe (German Edition)

Physiologie der Ehe (German Edition)

Titel: Physiologie der Ehe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Kinder zugelegt hatte. Da mein früherer Mathematiklehrer ganz in der Nähe meines Freundes wohnte, so hatte ich mir vorgenommen, dem würdigen Mathematiker einen Besuch abzustatten, ehe ich meinem Magen die Leckerbissen der Freundestafel gönnte. Ohne angehalten zu werden, drang ich bis zu einem Kabinett vor, worin alles mit einer Staubschicht bedeckt war, die für die ehrenwerte Zerstreutheit des Gelehrten ein schönes Zeugnis ablegte. Aber es harrte meiner eine Überraschung. Ich bemerkte eine hübsche Dame, die auf der Armlehne eines Sessels wie auf einem englischen Pferde saß. Sie gönnte mir jenes höfliche, leichte Kopfnicken, das die Damen des Hauses für Leute übrig haben, die sie nicht kennen; indessen vermochte sie die schmollende Miene, die im Augenblick meines Eintritts ihrem Gesicht einen traurigen Ausdruck gab, nicht so zu verbergen, daß ich nicht gemerkt hätte, ich käme ungelegen. Mein Lehrer, der ohne Zweifel mit einer Gleichung beschäftigt war, hatte noch nicht den Kopf erhoben. Ich begrüßte die junge Dame mit einer Schwenkung meiner rechten Hand – wie ein Fisch, der seine Flosse bewegt – und zog mich auf den Fußspitzen zurück, indem ich ihr ein geheimnisvolles Lächeln zuwarf, das man etwa hätte übersetzen können: »Ich werde Sie ganz gewiß nicht daran verhindern, ihn eine Untreue gegen seine Urania begehen zu lassen.« Sie antwortete mir mit einer jener Kopfbewegungen, deren anmutige Lebhaftigkeit sich nicht wiedergeben läßt.
    »Ei, lieber Freund, gehen Sie doch nicht!« rief der Mathematiker. »Ich stelle Ihnen meine Frau vor!«
    Ich grüßte sie noch einmal.
    O Coulon! Wo warst du, um dem einzigen deiner Schüler zu applaudieren, der deinen ›anakreontischen Ausdruck‹ begriffen hatte und ihn in eine Verbeugung hineinzulegen wußte! Die Wirkung mußte durchschlagend sein; denn ›Frau Professorin‹, wie die Deutschen sagen, errötete und stand schnell auf, um hinauszugehen, wobei sie mir eine leichte Verbeugung machte, die zu sagen schien: »Bewunderungswürdig!« Ihr Mann hielt sie zurück, indem er ihr sagte:
    »Bleib, mein Kind; 's ist einer meiner Schüler.«
    Die junge Frau neigte dem Gelehrten ihr Köpfchen zu, wie ein Vogel, der auf einem Zweig sitzt und den Hals vorstreckt, um ein Körnchen zu bekommen.
    »Das ist unmöglich!« sagte ihr Gatte, indem er einen Seufzer ausstieß; »und ich werde es dir mit a plus b beweisen.«
    »Ach, mein Herr, lassen wir das, bitte!« antwortete sie, indem sie mit einem Zwinkern der Augen auf mich deutete.
    Mein Lehrer hätte diesen Blick begreifen können, wenn nur Algebra drin gewesen wäre; aber die Augensprache war für ihn chinesisch, und so fuhr er fort:
    »Liebes Kind, schau mal her, du sollst selber entscheiden: wir haben zehntausend Franken Rente ...«
    Bei diesen Worten wandte ich mich der Tür zu, wie wenn plötzlich einige eingerahmte Zeichnungen, die ich mir betrachtete, ein leidenschaftliches Interesse in mir erregt hätten. Meine Diskretion wurde durch einen sehr beredten Blick belohnt. Die Dame wußte nicht, daß ich im Fortunio die Rolle Feinohrs, der die Trüffeln wachsen hört, hätte spielen können.
    »Die Grundsätze der Haushaltekunst im allgemeinen«, sagte mein Lehrer »verlangen, daß man für Wohnung und Dienstbotenlöhne nur zwei Zehntel des Einkommens ausgibt; nun, unsere Wohnung und unsere Leute kosten zusammen hundert Louis. Ich gebe dir zwölfhundert Franken für deine Toilette.« Dies sagte er mit Betonung jeder Silbe. »Deine Küche«, fuhr er fort, »beansprucht viertausend Franken; für unsere Kinder sind mindestens fünfundzwanzig Louis zu rechnen; für mich selber brauche ich nur achthundert Franken. Wäsche, Holz, Licht kommen ungefähr auf tausend Franken zu stehen; folglich bleiben, wie du siehst, nur sechshundert Franken, die noch niemals für die unvorhergesehenen Ausgaben gereicht haben. Um das Diamantenkreuz zu kaufen, müßten wir tausend Taler von unserm Kapital nehmen; wäre aber dieser Weg einmal beschritten, mein schönes Schätzchen, so bliebe nichts anderes übrig, als aus Paris, das du ja so sehr liebst, fortzuziehen; wir würden sehr bald genötigt sein, in die Provinz zu gehen, um durch Sparen die Verringerung unseres Vermögens wieder gutzumachen. Die Kinder wachsen und die Ausgaben auch! Also – nicht wahr? sei vernünftig!«
    »Ich muß es wohl,« sagte sie; »aber Sie werden in ganz Paris der einzige sein, der seiner Frau kein Neujahrsgeschenk gegeben hat!«
    Und sie eilte

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