Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pilger Des Hasses

Pilger Des Hasses

Titel: Pilger Des Hasses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
Vom Netzwerk:
begegneten, waren von einem hellen Graublau, das kristallklar zwischen langen Wimpern funkelte. Es war das ruhige, stille Gesicht eines Menschen, der in geduldiger Hinnahme geübt und darauf gefaßt war, sein Leben lang diese Tugend üben zu müssen. Cadfael war beim ersten Blick klar, daß Rhun keineswegs eine Wunderheilung erwartete, so sehr Alice Weaver dies auch hoffen mochte.
    »Bitte«, sagte das Mädchen schüchtern, »ich bringe meinen Bruder, wie meine Tante es mir aufgetragen hat. Sein Name ist Rhun, und ich heiße Melangell.«
    »Sie hat mir von Euch erzählt«, erwiderte Cadfael, indem er sie zur Hütte heranwinkte. »Ihr habt eine lange Reise hinter Euch.
    Kommt herein und macht es Euch bequem, und ich will mir das Bein ansehen. Ist es durch eine Verletzung so geworden? Ein Sturz vom Pferd oder ein Huftritt? Oder ist es etwa das Knochenfieber?« Er bot dem Jungen einen Platz auf der langen Bank an, nahm ihm die Krücken ab und legte sie beiseite und drehte ihn so herum, daß er die Beine entspannt ausstrecken konnte.
    Der Junge, der Cadfaels Blick ernst erwiderte, schüttelte langsam den Kopf. »Es war kein Unfall«, sagte er mit tiefer Männerstimme. »Es kam einfach. Es kam langsam, und ich erinnere mich nicht mehr an die Zeit davor. Man sagte mir, daß ich im Alter von drei oder vier Jahren zu straucheln und zu humpeln begann.«
    Melangell, die in der Türe zögernd stehengeblieben war - seltsam, genau wie Ciarans Gefährte, dachte Bruder Cadfael -, warf beinahe hastig ein: »Rhun wird Euch die ganze Geschichte erzählen. Ich lasse Euch jetzt lieber allein; ich werde später zurückkommen und draußen auf der Bank warten, bis Ihr mich braucht.«
    Rhuns helle, klare Augen, durchscheinend wie Eis in der Sonne, strahlten sie über Cadfaels Schulter hinweg an. »Geh nur«, sagte er. »Es ist ein so schöner, sonniger Tag; du solltest ihn besser nutzen, als mit mir herumzuhumpeln.«
    Sie sah ihn lange und ängstlich an, aber in Gedanken war sie bereits fort; zufrieden, daß er in guten Händen war, empfahl sie sich hastig und entschwand. Dann waren sie allein und sahen sich an, Fremde noch, die sich zögernd näherkamen.
    »Sie wird Matthew suchen«, sagte Rhun nur. Er schien völlig sicher, daß er verstanden wurde. »Er war gut zu ihr. Und zu mir auch - einmal hat er mich das letzte Stück bis zu unserer Nachtunterkunft auf dem Rücken getragen. Sie mag ihn, und er würde auch sie mögen, wenn er sie nur richtig ansähe; aber er hat nur Augen für Ciaran.«
    Diese unverblümte Einfachheit könnte ihm den Ruf eintragen, ein Einfaltspinsel zu sein, aber das wäre eine grobe Fehleinschätzung. Was er sah, sagte er auch - vorausgesetzt, hoffte Cadfael, er hatte den Menschen, mit dem er sprach, genau eingeschätzt -, und er sah mehr als die meisten Menschen, da er mehr als die anderen darauf angewiesen war, seine eintönigen Tage mit Beobachten und Wahrnehmungen zu verbringen.
    »Waren sie schon hier?« fragte Rhun, der sich gehorsam bewegte, damit Cadfael ihm die lange Hose von der Hüfte und dem verwachsenen Bein streifen konnte.
    »Sie waren hier. Ja, ich weiß es.« »Ich würde sie gern glücklich sehen.«
    »Sie hat es in sich, glücklich zu sein«, sagte Cadfael freundlich und fast gegen seinen Willen. Der Junge hatte eine Art an sich, daß die Antworten unbedacht und ganz von selbst herauskamen, als wäre es die natürlichste Sache der Welt. Der Junge hatte, dachte Cadfael, das Wort ›sie‹ ganz leicht betont; Rhun hatte kaum Hoffnung, selbst je glücklich zu werden, aber er wünschte seiner Schwester alles Glück. »Jetzt paßt auf«, sagte Cadfael, sich seinen Aufgaben widmend, »denn jetzt kommt die Hauptsache. Schließt die Augen und entspannt Euch so weit wie möglich und sagt es mir, sobald ich auf eine Stelle stoße, die schmerzt. Wie ist es jetzt im Ruhen? Tut Euch jetzt etwas weh?«
    Rhun schloß folgsam die Augen. Er atmete gleichmäßig und wartete einen Augenblick. »Nein, ich bin ziemlich entspannt.«
    Gut. Seine Sehnen schienen locker und kräftig, und in dieser Haltung hatte er keine Schmerzen. Cadfael tastete vorsichtig, sehr sanft und beruhigend, den Schenkel und den Unterschenkel des verwachsenen Beins ab und forschte und prüfte. Derart in Ruhe ausgestreckt schien das Bein beinahe wieder in der richtigen Stellung und wohlgeformt, wenn es auch dem Vergleich mit dem linken nicht standhielt. Außerdem wurde es durch die nach innen gedrehte Zehe und mehrere feste Knoten in der Wade

Weitere Kostenlose Bücher