Pilger des Zorns
beiden sind in Ochsenfurt an Bord gegangen, ich dagegen in Schweinfurt. Reichlich Zeit, um miteinander ins Gespräch zu kommen, findet Ihr nicht?«
»Allem Anschein nach handelt es sich bei Rosalindes Begleiterin um eine äußerst resolute Person«, ging Bruder Hilpert einfach über Richwyns Frage hinweg und ergänzte: »Und um eine wohlhabende obendrein.«
»Tante.«
»Verzeihung?«
»Bei ihrer Begleiterin handelt es sich um ihre Tante.«
»Mit Namen?«
Richwyn lächelte amüsiert. »Auf die Gefahr, Euren Zorn zu erregen, Bruder: Soll das etwa ein Verhör werden?«
»Natürlich nicht.«
»Und weshalb dann Eure unziemliche Neugier?«
»Die einen nennen es Neugierde, andere wiederum Interesse. Wobei es mir fernläge, über Gebühr in Euch zu dringen.« Der Betonung halber fügte Bruder Hilpert mit wohlkalkuliertem Zögern hinzu: »Falls Ihr das Geheimnis, welches jenes Mädchen umgibt … wie heißt sie doch gleich …?«
»Rosalinde.«
»Wie dumm von mir! Falls man Euch ins Vertrauen gezogen hat, meinte ich.«
»Meines Wissens gibt es nichts, was ich Euch vorenthalten müsste.«
»Wie beruhigend.«
Richwyn verzog das Gesicht zu einer heiteren Grimasse. »Na schön! Sie heißt Rosalinde, ist 15 und aus Ochsenfurt. Zufrieden?«
Bruder Hilpert lächelte zurück. »Und ihre Tante …?«
»… ist eine Ratsschreiberwitwe aus Würzburg.«
»Folglich ein Waisenkind.«
»Rosalinde? Keine Ahnung.« Richwyn gähnte. »Alles, was ich weiß, ist, dass die beiden auf Pilgerfahrt sind.«
»Und wohin?«
»Nach Köln. Um am Schrein der Heiligen Drei Könige Linderung von Röschens Leiden zu erflehen. Und von dort aus weiter nach Tours, zu des heiligen Martin Grab. Santiago de Compostela und den Schrein des heiligen Jakobus als krönenden Abschluss nicht zu vergessen.«
Bruder Hilpert zog überrascht die Brauen hoch. »Recht kostspielig, sollte man meinen.«
»Und beschwerlich.«
»Merkwürdig.«
»Was denn, Bruder?«
»Nicht so wichtig.«
Richwyn öffnete die Augen, stützte den Ellbogen auf die Reling und bedachte Bruder Hilpert mit einem kecken Blick. »Raus mit der Sprache!«, stachelte er ihn an. »Nur immer frisch von der Leber weg geredet!«
»Nun ja – wenn ich Euch richtig verstanden habe, ist das Mädchen nicht von Geburt an taubstumm gewesen.«
»Schon möglich. Aber was kümmert das Euch?«
Die Oberflächlichkeit, die der Spielmann auf einmal an den Tag legte, war gekünstelt, doch Bruder Hilpert war des Versteckspiels müde und sagte nur: »Recht so! Was kümmert ’ s mich. Scheint es doch Dinge zu geben, die mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit verdienen.«
»Stimmt!«, pflichtete ihm Richwyn bei, während sein Blick hinüber zum Kai schweifte. »Wie zum Beispiel der Galgenvogel da drüben.«
Bruder Hilpert hatte sich noch nicht umgedreht, als der Kapitän, der in einiger Entfernung auf der Kaimauer saß, plötzlich aufsprang und auf einen der zahlreichen Flaneure zuging. An sich war an ihm nichts Besonderes, außer vielleicht, dass er sich nicht wie die Einheimischen kleidete. Er hatte etwas Düsteres, Abweisendes, Unheimliches an sich, und seine Gewandung stand diesem Eindruck in nichts nach: dunkle Stiefel, dunkle Hose und dunkelblaues Wams. Das kurz geschorene, pechschwarze Haar gab dem wachsbleichen Finsterling sozusagen den letzten Schliff.
Worüber die beiden sprachen, konnte Bruder Hilpert aufgrund des lebhaften Treibens auf dem Mainkai nicht verstehen. Eines jedoch war von Anbeginn klar: Es ging um die Kisten, die von der ›Charon‹ hierher transportiert worden waren. Für wen sie bestimmt waren, konnte man leicht ahnen.
In Gedanken immer noch bei dem Gespräch mit Richwyn, wandte sich Bruder Hilpert wieder ab. Dies allerdings nicht schnell genug. Denn kaum hatte der Kapitän ihn erspäht, ließ er den Fremden stehen und stürmte wie ein wild gewordener Eber auf Hilpert zu. Wäre die Bordwand nicht gewesen, die seinem Jähzorn die Spitze nahm, hätte er vermutlich die Beherrschung verloren. »Eins lasst Euch gesagt sein, Mönch!«, entlud sich sein Zorn in einer Weise, der die vorangegangenen Wutausbrüche in den Schatten stellte. »Solltet Ihr Wert darauf legen, unbehelligt ans Ziel zu gelangen, dann hört auf, Euren Pfaffenerker in anderer Leute Angelegenheiten zu stecken! Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«
»Und wenn nicht?«
Der Lockenkopf fletschte die Zähne und ballte die Rechte zur Faust. »Dann, hochwürdiger Bruder«, grollte er mit nur mühsam
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