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Pilger des Zorns

Pilger des Zorns

Titel: Pilger des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klausner
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besser.
    In derlei Gedanken vertieft, hatte er nicht bemerkt, dass er nicht mehr allein war. Auf der anderen Seite der Scheinwand, in deren Mitte sich ein knapp zwei Quadratzoll großes Luftloch befand, hatte sich etwas bewegt. Marek Husine č , fast 39, mittelgroß und nur mehr Haut und Knochen, hielt den Atem an. Doch war seine Angst unbegründet, die Stimme auf der anderen Seite des Bretterverhaus keine unbekannte für ihn. »Ich bin ’ s, Vater!«, klang es gedämpft an sein Ohr, während er den Versuch machte, das Blut in seinen Füßen wieder zum Zirkulieren zu bringen. »Alles in Ordnung?«
    »Ja!«, antwortete er, gerade rechtzeitig, bevor das Schiff plötzlich beidrehte und die gesamte Ladung ins Schlingern geriet. Schon fürchtete er das Schlimmste, und das Knarren der Spanten, Knirschen der Halteseile und Schlingern des Rumpfes war so stark, dass er dachte, die ›Charon‹ würde jeden Moment auf Grund laufen. Dass es nicht dazu kam, grenzte angesichts der Tatsache, dass sich das Schiff bald nach Backbord, kurz darauf jedoch wieder nach Steuerbord neigte, fast schon an ein Wunder.
    Doch dann, schneller als befürchtet, war alles vorbei. Die ›Charon‹ lag wieder auf Kurs. Folglich hatte er noch einmal Glück gehabt. Wie lange noch, war allerdings die Frage. Es musste etwas geschehen. Und das ziemlich bald.
    »Alles in Ordnung, Vater?«, erhob sich die Stimme jenseits der Scheinwand aufs Neue. Sie hörte sich besorgt, ja geradezu ängstlich an.
    »So halbwegs«, keuchte er, den Anflug eines Lächelns im Gesicht. Ein paar Monate Haft hatten genügt, um aus ihm, dem vor Zuversicht strotzenden Lieblingsjünger des Jan Hus, einen gebrochenen, ergrauten und verbitterten alten Mann zu machen. Auch wenn er sich das nicht eingestehen wollte. Insbesondere in Gegenwart seines Sohnes nicht.
    »Durchhalten, Vater!«, beschwor ihn die Stimme, dem Luftloch nunmehr ganz nahe. »Sonst sind wir verloren!« Und dann, ungleich heftiger, fast flehentlich: »Hast du gehört, Vater?«
    Ja, natürlich hatte er das. »Keine Bange«, erwiderte er in zuversichtlichem Ton, wobei der weiche Klang seiner Stimme wie immer etwas Beruhigendes an sich hatte. »Ein, zwei Tage, und dann ist es geschafft.«
    »Bestimmt, Vater.«
    »Ja, ganz bestimmt!«, versicherte er und betastete den schmerzenden Fuß. »Der Tag des Gerichts wird kommen. Das schwöre ich dir. Gott der Herr wird ein Einsehen mit uns haben. Und sein Zorn wird kommen über all jene, die uns Leid zugefügt haben.«
    »Und wenn nicht?«
    »Zweifle nicht, mein Sohn!«, hörte er sich fast schon wieder wie der Alte an, wie damals, als er seinen Landsleuten zu Prag das Evangelium predigte. »Die Rache des Herrn wird über unsere Widersacher kommen. Besonders über den, der uns malträtiert hat wie kein anderer.«
    Auf der anderen Seite des Bretterverhaus war es auf einmal mucksmäuschenstill. Schon fürchtete er, sein Sohn habe ihn nicht verstanden, als er aufs Neue seine Stimme vernahm: »So leid es mir tut, Vater –«, hörte sie sich seltsam verändert an, »bis Gott der Herr sich die Zeit nimmt, diese froschäugige Kreatur zur Verantwortung zu ziehen, kann und will ich nicht warten.«
    Dann wurde es still, die Dunkelheit schwärzer denn je.

     
    H

     
    Viel Zeit zum Nachdenken hatte er nicht gehabt. Einen Wimpernschlag lang, wenn überhaupt. Und dennoch waren es zwei Dinge gewesen, die ihm aufgefallen waren. Nämlich zum einen Richwyns an Häme grenzende Gleichgültigkeit. Und zum anderen das Faktum, dass die ›Charon‹ weiterhin auf Kurs geblieben war. Gerade so, als sei nichts gewesen.
    Doch dann hatte alles Nachdenken ein Ende gehabt, und als Bruder Hilpert in die Fluten eintauchte, ging es nur noch um eines: ums nackte Überleben.
    Zurück an der Oberfläche, wurde ihm klar, auf was er sich eingelassen hatte. An der Stelle, wo er sich befand, war die Strömung besonders stark, weitaus gefährlicher als gedacht. Hinzu kam das Kielwasser des Schiffes, dessentwegen er erst einmal kräftig Wasser schluckte. Verglichen mit dem, was noch auf ihn zukommen würde, jedoch eine Lappalie.
    Der Badstuber befand sich in Rufweite, nur ein paar Armlängen entfernt. Die Frage war allerdings, wie lange noch. An der Art, wie er sich über Wasser zu halten versuchte, war eines ganz deutlich zu erkennen: Emicho konnte nicht schwimmen. Für Bruder Hilpert jedoch kein Anlass zur Resignation. Denn im Grunde war alles ganz einfach: Die Strömung würde ihm den strampelnden, würgenden

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