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Pilger des Zorns

Pilger des Zorns

Titel: Pilger des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klausner
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und sie verstummte im Nu.
    Der Schiffsjunge indes ließ nicht locker. Selten zuvor hatte Bruder Hilpert etwas Vergleichbares erlebt, und obwohl er nicht der Typ dafür war, ging ihm die Szene unter die Haut. »Ich bin ’ s – der Jobst!«, wiederholte der schüchterne, gerade eben erst dem Knabenalter entwachsene Jüngling sanft. »Brauchst keine Angst mehr zu haben. Vor niemandem. Ich bin für dich da. Versprochen.«
    Als habe Jobst das Stichwort gegeben, kehrte das Leben wieder in den Körper des Mädchens zurück. Doch das war noch nicht alles. Wie Bruder Hilpert erstaunt konstatierte, hatte er es plötzlich mit einem ganz anderen Menschen zu tun. Die Matrone und er kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Und dann geschah, womit keiner von ihnen beiden gerechnet hatte: Das Mädchen lächelte.
    Wem dieses Lächeln galt, war nicht zu übersehen, und obwohl er sich an dem Anblick der beiden nicht sattsehen konnte, erhob sich Bruder Hilpert von seinem Sitz, gab der Matrone einen Wink und bedeutete ihr, ihm zu folgen. Ein Wink, dem sie umgehend Folge leistete. »Kommt, Frau Liutgard!«, bot er ihr schmunzelnd den Arm. »Wir beide haben hier nichts mehr zu …«
    »Klar zum Anlegen, Jobst! Gilt auch für dich, Odo. Oder soll ich vielleicht alles allein machen?« Noch herrischer als sonst hallte die Stimme des Kapitäns weithin hörbar über die ›Charon‹ hinweg. »Wohin zum Teufel hat sich denn eigentlich dieser Nichtsnutz von Spielmann verkrochen?«
    Während sich der Schiffsjunge beeilte, dem Befehl des Kapitäns nachzukommen, ließ sich der Hufschmied demonstrativ Zeit. Erst als das Ufer zum Greifen nahe war, rappelte er sich auf, verließ seinen Platz am Bug und ging dem Schiffsjungen mit verdrossener Miene zur Hand.
    In der Aufregung hatte Bruder Hilpert das Gefühl für Zeit und Raum verloren, und als sein Blick auf das Städtchen auf der Backbordseite fiel, musste er sich erst orientieren. Dank Richwyn, der urplötzlich neben ihm stand, brauchte er allerdings nicht lange dazu: »Burg Freudenberg«, erklärte der Sackpfeifer lapidar, öffnete seine Feldflasche und nahm einen kräftigen Schluck. »In der Grafen von Wertheim erblichem Besitz.« Sein Drang, mit Hand anzulegen, hielt sich anscheinend stark in Grenzen.
    Bruder Hilpert nickte. Die Burg mit dem dreistufigen Bergfried, dem Mauerring und ihrem weithin sichtbaren Palas erkannte er sofort wieder. Als Kind hatte er hier einmal Station gemacht. Damals, vor nunmehr fast 30 Jahren, war er in Begleitung seines Vaters gewesen, und obwohl er sich dagegen sperrte, wurde er plötzlich von Wehmut gepackt. So heftig, dass er Liutgards Verschwinden, die Caelina am Handgelenk hinter sich herschleifte, nicht bemerkte.
    In dem Maße, wie sich die ›Charon‹ dem Kai näherte, sollte sich dies allerdings ändern. Zum einen, weil ihn die Gegenwart des Sackpfeifers zutiefst beunruhigte. Um sich abzulenken, wandte er sich deshalb der Landseite zu. Unter den Gaffern, welche die Ankunft der ›Charon‹ beobachteten, fiel ihm dabei ein Mann ganz besonders auf.
    Ein Mann, den er kannte.
    Bis er begriffen hatte, um wen es sich handelte, dauerte es einige Zeit. Als es jedoch so weit war, fiel Bruder Hilpert aus allen Wolken. Damit hatte er nicht gerechnet, weiß Gott. Auf einen Schlag war alles um ihn herum vergessen. Die Burg hoch droben über dem Main, das Städtchen, das geschäftige Treiben an Land. Reminiszenzen an die eigene Jugend mit inbegriffen. Bruder Hilpert klammerte sich an der Reling fest und starrte den fast sechs Fuß großen, mit zerfleddertem Wams, Filzkappe und abgenutzten Stiefeln bekleideten Endzwanziger fassungslos an. Die Utensilien eines Kesselflickers, die er mit sich herumschleppte, passten zu dem Recken wie der Sattel zu einer Kuh, und er fragte sich, was der Grund für diesen merkwürdigen Aufzug war.
    Doch ganz gleich, was der Grund für seine Maskerade war: Hauptsache, Berengar war wieder da.

     

INTERLUDIUM (III)
    Citissime!

     
    An Bruder Laurentius, Prior vom Orden des heiligen Dominikus zu Würzburg

     
    Mein allergehorsamster Sohn!

     
    Wie Du, Laurentius, mir in Deinem Brief vom dritten Tage im Februarius mitzuteilen geruhtest, befinden sich Du, Bruder Prior, wie auch der dir anvertraute Konvent in einer äußerst delikaten, um nicht zu sagen unerquicklichen Situation. Ich habe mich deshalb entschlossen, Dir umgehend Hilfe zuteilwerden zu lassen. Auf dass der Zustand, in dem sich der Konvent der Dominikaner zu Würzburg am Main

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