Pilger des Zorns
glatte Haut, forscher Blick. Allem Anschein nach Zisterzienser. Der Bankier erstarrte. Mit Mönchen, insbesondere Dominikanern, war nicht gut Kirschen essen. Das wusste er nur zu gut. Ein falsches Wort, und man war verloren.
Insbesondere dann, wenn man Jude war.
Auf einen Schlag wie gelähmt, sah Isaak zu dem unbekannten Mönch auf. »Wo bin ich?«, stieß er mit Blick auf den Zisterzienserbruder hervor, der sich neben seinem provisorischen Lager niedergelassen hatte.
Der Mönch setzte ein freundliches Lächeln auf. »In Sicherheit«, flüsterte er ihm beruhigend zu.
Der Bankier erwiderte das Lächeln, wenn auch gequält. »Und wo?«, stöhnte er auf, Opfer einer neuerlichen Schmerzkaskade, welche ihn wie die Sintflut mit sich fortzureißen drohte.
»An Bord der ›Charon‹. Und somit weit genug von Euren Peinigern entfernt.«
»Peiniger?«
Das Lächeln verschwand, und der forsche Blick trat an seine Stelle. »Auf die Gefahr, unziemlicher Neugierde bezichtigt zu werden: Welchen Schluss, wenn nicht den meinen, sollte man aus Eurem Zustand ziehen?«
Mit einer Miene, die sein Misstrauen offenkundig machte, wandte Isaak den Kopf nach links. Auf einmal, ohne sein Zutun, waren die alten Erinnerungen wieder da. An den Prozess, an Malachias und die Vertreibung aus der Stadt. Die größte Demütigung seines Lebens. Die Miene des Bankiers verhärtete sich. »Einen anderen!«, entgegnete er barsch.
»Und welchen?«
»Eine kleine Meinungsverschiedenheit. Unter Zechkumpanen. Wie das in Schenken, in denen es hoch hergeht, bisweilen der Fall zu sein pflegt.«
Der Ordensbruder runzelte die Stirn. »Sollte dies zutreffen«, erwiderte er argwöhnisch, »müsst Ihr ja mit Euren Kumpanen ganz schön aneinandergeraten sein. Beziehungsweise ziemlich Prügel bezogen haben.«
»Meine Sache!«, antwortete der Bankier gereizt. »Wenn es einer ausbaden muss, dann ich.«
»Nicht ganz zutreffend.«
»Wieso denn?«
»Weil ich es war, der – um eine den Umständen entsprechende Metapher zu benutzen – Euch aus dem Main gefischt hat. Zusammen mit einem weiteren Passagier. Meines Wissens Kesselflicker von Beruf.«
Isaak biss auf die Zähne, drehte den Kopf nach rechts und sah den Mönch mit großen Augen an. »Aber warum?«, stieß er entgeistert hervor. »Warum in aller Welt habt Ihr das …«
»Warum ich das getan habe? Reichlich merkwürdig, einen Ordensbruder so etwas zu fragen, findet Ihr nicht auch?«
Im Bewusstsein der Kränkung, die er dem Mönch zugefügt hatte, senkte Isaak den Blick. »Verzeiht, Bruder!«, fügte er geraume Zeit später hinzu, während er den Versuch machte, sich auf den Ellbogen zu stützen. Ein Versuch, der erst nach mehreren Anläufen gelang. »Euch zu verärgern, liegt mir fern.«
Der Mönch, für den die Entschuldigung gedacht war, ging nicht darauf ein. »Ach, übrigens –«, zog er es stattdessen vor, das Thema zu wechseln, »mein Name ist Hilpert, Bruder Hilpert. Hocherfreut, Eure Bekanntschaft zu machen.«
»Die Freude ist ganz auf meiner Seite«, erwiderte Isaak, noch immer einen Hauch von Zweifel im Gesicht.
Einem aufmerksamen Beobachter wie Bruder Hilpert entging dies nicht. »Nichts für ungut, Meister … Meister …«, begann er, in der Absicht, mehr über ihn zu erfahren.
»Bernward«, vollendete Isaak zögerlich. Und fügte, um weiteren Fragen einen Riegel vorzuschieben, hinzu: »Auf dem Rückweg von der Wallfahrt zum Heiligen Blut in Walldürn. Wohnhaft zu Aschaffenburg.«
Wenn er gehofft hatte, Bruder Hilpert damit abwimmeln zu können, wurde er enttäuscht. »Und worüber, wenn die Frage gestattet ist, seid Ihr mit Euren Zechkumpanen in Streit geraten?«
»Nichtigkeiten – wie üblich.«
»Wie heißt es doch gleich? ›Kleine Ursache, große Wirkung.‹«
»In der Tat.«
Bruder Hilpert zog die Brauen hoch und massierte sein Kinn. »Wobei ich mich frage, wie es kommt, dass ein Mensch auf derart niederträchtige Art und Weise …«
»Zugerichtet wird?« Isaak lächelte schal. »Als Mönch solltet Ihr Euch über die Natur des Menschen doch wohl im Klaren sein, oder?«
»Mag sein!«, antwortete Bruder Hilpert und breitete die Decke, die er mitgebracht hatte, über seinem Gesprächspartner aus. »Vielleicht ist gerade das der Grund, weshalb ich alles immer ganz genau wissen will. Bekanntlich lernt man ja nie aus.«
»Auf die Gefahr hin, Euch zu enttäuschen: An mir gibt es nichts, das es wert wäre, hinterfragt zu werden«, erwiderte Isaak prompt. »Absolut
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