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Pilger des Zorns

Pilger des Zorns

Titel: Pilger des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klausner
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Kerbholz zu haben.«
    »Und der Pfandleiher – keinerlei Rachegelüste?«
    Berengar schüttelte den Kopf. »Eine Stinkwut – und das war ’ s dann auch schon gewesen. Versuchter Mord? I wo, nur eine kleine Meinungsverschiedenheit unter Freunden. Wenn einer vor den Kadi ziehen könnte, dann er. Will der feine Herr aber nicht. Hat vermutlich selbst genug Dreck am Stecken.«
    »Ubi non accusator, ibi non iudex [18] , in der Tat!«, murmelte Bruder Hilpert vor sich hin.
    »Wenigstens bist du jetzt im Bilde.«
    »Kann man wohl sagen.«
    Berengars Miene verdüsterte sich. »Hehlerei, Diebstahl, versuchter Mord –«, entrüstete er sich, »fehlt nur noch Unzucht, dann wäre das Sündenregister …«
    »Sieh an – ein neues Gesicht! Kesselflicker – hab ich recht?«
    Von dem, was Berengar zu berichten hatte, total in Anspruch genommen, hatte Bruder Hilpert die Gegenwart des Sackpfeifers nicht bemerkt. Entsprechend kühl fiel seine Reaktion auf Richwyns Frage aus. »Wie man unschwer erkennen kann!«, antwortete er in scharfem Ton.
    Für den Sackpfeifer war Bruder Hilpert jedoch Luft. »Auf Wanderschaft?«, wartete er die Antwort des vermeintlichen Kesselflickers gar nicht erst ab. Und fügte prompt die nächste Frage hinzu: »Und wohin?«
    Eingedenk der Reaktion seines Freundes war Berengar sofort auf der Hut. »Keine Ahnung«, gab er sich betont reserviert. »Und du?«
    Richwyns Augen verengten sich. »Ich?«, fragte er und deutete mit dem Zeigefinger auf seine Brust. »Ich fürchte, mir geht es ebenso wie dir: immer auf Wanderschaft, ohne Behausung und Ziel.«
    Berengar und Bruder Hilpert wechselten einen raschen Blick. Dann sagte Letzterer rundheraus: »Zeit für ein Ständchen, findet Ihr nicht? Wenn möglich, zur Abwechslung einmal mit Instrument.«
    In die Enge getrieben, wich der Sackpfeifer Bruder Hilperts Blick aus, stellte den Fuß auf die Bank und sah zum Mainzer Tor hinüber, an dem die ›Charon‹ in diesem Moment vorübersegelte. Der Wind hatte aufgefrischt, und die Baumkronen oberhalb der Mildenburg lagen bereits im Schatten. Bruder Hilpert fröstelte, und das nicht nur der kühlen Brise wegen. »Später!«, wehrte Richwyn brüsk ab. »Erst dann, wenn es einen triftigen Grund zum Feiern …«
    »Mann über Bord!«, hallte die Stimme des Kapitäns urplötzlich über das Deck. »Mann über Bord!«
    Bruder Hilpert wirbelte herum und folgte Richwyns Blick. ›Nicht schon wieder!‹, war sein erster Gedanke, als er die aufgeraute Wasseroberfläche absuchte. Zu sehen gab es freilich nichts, außer ein paar Möwen, die laut kreischend ihre Bahn zogen. Aufs Äußerste besorgt, eilte er auf die Steuerbordseite. Mittlerweile befanden sich sämtliche Passagiere an Deck, unter anderem der Badstuber, Liutgard und Caelina, die das Geschehen von der Kajütentür aus verfolgte.
    »Da!« Es war der Schiffsjunge, der den im Wasser treibenden Körper als Erster sah. Oberflächlich betrachtet sah dieser wie ein Leichnam aus. Leblos, starr, kalkweiße Haut. Die Distanz zum Schiff betrug etwa 100 Schritt, was bedeutete, dass die ›Charon‹ ihn in Kürze passieren würde. Und das wiederum hieß, dass es galt, eine Entscheidung zu fällen.
    Eine Entscheidung, die Bruder Hilpert längst getroffen hatte.
    Und Berengar nicht minder.
    Die Passagiere der ›Charon‹ trauten ihren Augen nicht. Ein Mönch und ein Kesselflicker, die nichts Besseres zu tun hatten, als ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Und das alles nur, um einen Leichnam aus dem Main zu fischen.
    Verrückter ging es wirklich nicht.
    Bruder Hilpert und Berengar kümmerte dies wenig. Zu allem entschlossen, streiften sie Schuhe und Oberbekleidung ab und kletterten über die Reling des rasch Fahrt aufnehmenden Schiffes hinweg.
    Dann tauchten sie in die Fluten ein.
    Zuerst Hilpert, dann Berengar.

     
    H

     
    Der Schrei war bis in den letzen Winkel des Schiffes zu hören gewesen. Jans Stimme – rau und spürbar alarmiert. Und kurz darauf Pavel, der ihn auf irgendetwas aufmerksam machte. Ein Grund zur Erleichterung für ihn.
    Der Junge war in Sicherheit. Und das war das Wichtigste. Weitaus wichtiger als alles andere auf der Welt.
    Er, Marek Husine č , mit eingeschlossen.
    Nur noch ein Schatten früherer Tage, setzte sich der ehemalige Doktor der Theologie an der Universität zu Prag langsam auf, umschlang seine Knie und zog die Beine zu sich heran. In welcher Position auch immer er sich befand, der Schmerz in seinem Knöchel ließ nicht nach. Und dann erst die

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