Pilger des Zorns
Bruder Hilpert ausgesetzt sah, ging es einfach nicht.
»Da wäre zum Beispiel die Frage, wer für den Raub der Reliquiare samt Altargerät und Geldschatulle verantwortlich ist.«
»Könnt Ihr Euch das nicht denken?«
»Denken schon. Vielleicht möchte ich es jedoch lieber aus Eurem Munde hören«, retournierte Bruder Hilpert und warf dem Vogt einen vielsagenden Seitenblick zu.
Nach anfänglichem Zögern, das er mit einem Blick auf Caelina zu überspielen versuchte, gab der Visitator nach. »Der da!«, stieß er kurz angebunden hervor, wobei er es mit Mühe und Not schaffte, den Kopf in Richtung Hauptmast zu drehen.
»Malachias?«
»Beim heiligen Dominikus – ja!«
»Woher kennt Ihr ihn überhaupt?«
»Wen? Malachias?«
Bruder Hilpert nickte.
»Von meinen Ermittlungen, woher sonst?«
»Will heißen: Bis das Diebesgut in klingende Münze umgewandelt war, hat unser gemeinsamer Freund das Unschuldslamm gespielt. Um geraume Zeit später, nachdem es verhökert worden war, bei Nacht und Nebel zu verschwinden.«
»Wie gesagt – Ihr seid mit allen Wassern gewaschen.«
Bruder Hilpert ließ sich nicht ins Bockshorn jagen. »Purer Zufall, dass sich Eure und des Ermordeten Pfade wieder gekreuzt haben, oder liege ich da falsch?«
»Kann man wohl sagen.«
»Schade nur, dass der Erlös aus dem Raubzug bislang nicht wiederaufgetaucht ist«, fuhr Bruder Hilpert unbeirrt fort, streifte seinen Überwurf ab und bettete den Kopf des Mädchens darauf.
Die Züge des Visitators verhärteten sich. »Was wollt Ihr damit sagen?«, fuhr er ihn an.
»Nichts«, beteuerte Bruder Hilpert mit einem entwaffnenden Lächeln. »Überhaupt nichts. Und außerdem: Täten wir nicht besser daran, nach dem Mörder von Malachias zu suchen?«
Das Gesicht des Visitators verfärbte sich, und seine Augen sprühten vor Hass. Doch so leicht, wie Bruder Hilpert sich das gedacht hatte, ließ er sich nicht aus der Reserve locken. Coelestinus war ein Mann, der gelernt hatte, sich zu beherrschen. Das war klar, spätestens jetzt. Ein, zwei Augenblicke, und schon begannen sich seine Züge zu entspannen. »Selbstverständlich«, stimmte er Bruder Hilpert nach anfänglichem Zögern zu. »Und wie habt Ihr Euch das gedacht?«
»Indem wir uns die Passagiere der Reihe nach vorknöpfen – wie sonst?«, brummte Berengar, dessen Kopfschmerzen sich wie Nadelstiche anfühlten, übellaunig vor sich hin.
»Ein hoch kompliziertes Unterfangen, Herr Vogt.«
»Und wieso?«
»Weil, zumindest was meine Beobachtungen betrifft, jeder der Passagiere eine – wie drücke ich mich jetzt bloß aus? – eine offene Rechnung mit unserem heimgegangenen Herrn Sakristan zu begleichen hat.«
»Zu Eurer Information: Mein Freund Hilpert und ich sind schon mit ganz anderen Halunken …«
»Was mein Freund sagen möchte«, fiel Bruder Hilpert Berengar ins Wort, »ist dies: Ohne jeden Zweifel befindet sich der Mörder hier an Bord. Folglich gibt es für uns zwei Möglichkeiten.«
»Und die wären?«
»Erstens: Wir ersuchen den nächstbesten Grafen, Ritter oder Herrn, sich des Falles anzunehmen. Wobei ich nicht einmal genau weiß, wo wir uns derzeit befinden.«
»Etwa eine halbe Stunde von der Klingenburg entfernt«, fügte Berengar nach kurzem Rundumblick hinzu. Und ließ bezüglich seiner Meinung über den Burgherrn erst gar keine Zweifel aufkommen: »Keinen Schuss Pulver wert, der Herr des Hauses.«
»Oder?«
»Oder wir nehmen den Kasus selbst in die Hand.« Ein hintergründiges Lächeln huschte über Bruder Hilperts Gesicht.
Der Visitator erwiderte es. »Im Vertrauen auf Eure Fähigkeiten wäre ich für Letzteres. Spart Zeit und jede Menge Verdruss.«
»An Eurer Stelle wäre ich mir da nicht so sicher«, sprach Bruder Hilpert, streichelte Caelinas Wange und rappelte sich auf. »Wie die Dinge liegen, wird es noch die eine oder andere Überraschung geben.«
VOR TERTIA
Worin die Befragung der Passagiere an Bord der ›CHARON‹ in ihre entscheidende Phase tritt.
»Ihr glaubt doch wohl nicht etwa, dass ich Euch das abkaufe?«, fuhr Bruder Hilpert den Hufschmied Odo alias Markward von Henneberg an. Die Luft in der Kapitänskajüte war schneidend dick, durch den Sehschlitz neben der Tür sickerte ein Bündel Sonnenstrahlen herein. An der Stimmung, die schlechter nicht hätte sein können, änderte dies jedoch nichts.
»Glaubt meinetwegen, was Ihr wollt, Mönch!«, bellte der Komtur zurück, freilich nicht ohne dem Kapitän einen ängstlichen Blick zuzuwerfen.
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