Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall
dass er oder wir diese wichtigen Erkenntnisse publik machen müssen, sagt er einfach, dass ihm gerade eben erst diese bedeutende Entdeckung gelungen sei.«
»Ja, aber eigentlich musste er doch alle Asservate den LKA-Gerichtsmedizinern übergeben«, ließ Schauß noch immer nicht locker.
»Das hat er selbstverständlich auch sofort getan, pflichtbewusst, wie er nun mal ist«, betonte der Leiter der Mordkommission grinsend. »Aber Michael, was kann denn der Doc dafür, dass er zufällig genau an den Stellen in der Pathologie, wo die beiden toten Frauen gelegen haben, irgendwelche Haare und Schuppen findet.«
»Ihr seid vielleicht alte Gauner! Genial!«
»Danke für das Lob!«, erwiderte Tannenberg zufrieden lächelnd. »Sag mal, Michael, was war denn eigentlich gestern Abend bei der Pressekonferenz los?«
»Du, das war das totale Chaos! Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Alles voll mit aggressiven Kameraleuten und Reportern, grelles Licht, fürchterliche Hitze, tumultartige Szenen – es war schrecklich. Und dann noch diese bescheuerte Fragerei: Wieso haben Sie den Täter noch nicht ermittelt? Was unternimmt die Polizei, um die Bevölkerung zu schützen? Usw., usw.«
»Ja, und was habt ihr darauf geantwortet?«
Tannenberg köpfte routiniert sein Frühstücksei.
»Ich hab über die SOKO berichtet und die Ermittlungsrichtungen angedeutet. Na, was man halt so sagt, wenn man nichts Konkretes hat«, antwortete Schauß.
»Und der Hollerbach?«
»Wart’s ab! Zuerst noch zu unserer Freundin, der Frau Kriminalpsychologin. Die hat nämlich allen Ernstes behauptet, dass die Frauen, die in der Innenstadt wohnen, überhaupt nicht gefährdet seien.«
»Die spinnt! Und wie hat sie das begründet?«, fragte Tannenberg erregt und setzte die große blaue Kaffeetasse, die er gerade zum Mund geführt hatte, ohne daraus zu trinken, wieder ab.
»Sie hätte ein Täterprofil erstellt und aus dem würde sich eindeutig ergeben, dass der Serienmörder nur dort zuschlagen würde, wo er die Möglichkeit zu einer für ihn relativ gefahrlosen Entführung hätte. Und deshalb seien eben vor allem Stadtrandlagen oder Wohngebiete, die an den Wald grenzen, die gefährdeten Bereiche.«
»Was für ein Quatsch!«, schimpfte Tannenberg ungehalten los. »Dieser Verrückte kann die nächste Frau genauso gut im Altstadtparkhaus überfallen, sie in seinen nicht einsehbaren Kastenwagen werfen und damit unerkannt durch die ganze Stadt fahren.«
»Klar! Und weißt du, was sie noch gemeint hat? Aus dem von ihr erstellten Täterprofil könne man mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit darauf schließen, dass es der Täter nur auf einen bestimmten Frauentyp abgesehen habe: 25 bis 35 Jahre alt und sportlich.«
»Die spinnt wirklich! Das ist doch total fahrlässig! Dann fühlen sich alle anderen Frauen sicher! Irre!«, echauffierte sich der SOKO-Leiter.
»Aber der Hollerbach war noch viel besser. Der hat nämlich gewartet, bis die Pressemeute sich so richtig auf ihn eingeschossen hatte, so von wegen: Unfähigkeit, Überforderung, Dilettantismus usw. Und dann hat er genüsslich den Exhibitionisten als dringend Tatverdächtigen aus dem Hut gezaubert, mit dem Effekt, dass sich die Pressekonferenz ruck, zuck aufgelöst hat, weil alle schnell in ihre Redaktion wollten.«
»Mischa, Telefon für dich – die Zentrale. Sie sagen, es sei sehr wichtig!«, rief Sabrina plötzlich aus dem Wohnzimmer.
Kommissar Schauß sprang sofort auf und hechtete wie ein jagender Panter zu seiner Frau.
Tannenberg erhob sich neugierig von seinem gepolsterten Gartenstuhl und lauschte von der Terrassentür aus dem kurzen Telefongespräch.
»Wolf, es gibt eine neue Tote. Diesmal am Balkenbrunnen!«, rief ihm Michael Schauß entgegen.
»Oh nein. Nicht schon wieder! Balkenbrunnen? Wo ist denn das? Hab ich noch nie gehört!«
»Es muss genau dort sein, wo wir beim letzten Mal geparkt haben, unterhalb der Weltachs. Sabrina, du schließt sofort alle Fenster und Türen und lässt dich von den Kollegen zum Dienst abholen!«
»Allerliebster Ehemann, ich glaube, du tickst nicht richtig! Falls du es immer noch nicht gemerkt haben solltest: Du bist nicht mit einer Kindergärtnerin, sondern mit einer Polizistin verheiratet. Wozu hab ich denn meine Waffe? Ich setze mich doch bei dieser Hitze nicht ins Haus«, schrie Sabrina wütend; aber die beiden Ermittler konnten den letzten Satz schon nicht mehr hören.
Mit quietschenden Reifen und eingeschaltetem Martinshorn fuhren sie los,
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