Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall
überquerten zwei Kreuzungen bei Rot und rasten mit hoher Geschwindigkeit zum Stall hinauf.
Als sie schließlich den geschotterten kleinen Parkplatz an der Abzweigung nach Mölschbach erreichten, beschlich Tannenberg ein merkwürdiges Gefühl, dessen Ursache er noch nicht gleich erschließen konnte. Seine unergründbaren Vorahnungen fanden sich zunächst dadurch bestätigt, dass kein einziges Auto mit einem Kennzeichen aus dem zuständigen Regierungsbezirk auf dem Parkplatz stand, nur Pkws mit Mainzer Kennzeichen, Zivilfahrzeuge und Polizeiautos. Sogar der Leichenwagen kam aus Mainz.
Außerdem fehlte etwas: Im Gegensatz zu den beiden anderen Fällen wurden sie nicht von Oberförster Kreilinger erwartet. Tannenberg bedauerte dies sehr, denn er hatte sich während der Autofahrt ernsthaft vorgenommen, diesen Menschenjäger eigenhändig in der Luft zu zerreißen.
Die beiden Kriminalbeamten mussten sich diesmal auch nicht mit der Frage beschäftigen, wo sich der Fundort der Leiche befand und auf welchem beschwerlichen Weg man dorthin kam, denn bereits vom Parkplatz aus entdeckten sie die LKA-Mitarbeiter, die etwa 50 Meter von ihren Autos entfernt in einem engen Kreis zusammenstanden.
Tannenberg und sein Assistent passierten eine geöffnete Schranke, bogen nach links in einen schmäleren Pfad ein und erreichten ohne jegliche körperliche Anstrengung nach kurzer Zeit ihre Mainzer Kollegen.
»Sie müssen Hauptkommissar Tannenberg vom K 1 sein«, rief ihnen ein dynamischer, wie ein Dressman gestylter Mittdreißiger entgegen. »Wagner ist mein werter Name. Heribert Wagner. Leitender Kriminaloberrat in Diensten des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz.«
»Ganz schön langer Titel! Da brauchen Sie bestimmt zwei Visitenkarten!«, entgegnete Tannenberg provozierend, denn er war sehr ungehalten darüber, dass man seinen jungen Kollegen absichtlich übersehen hatte. »Und das ist mein Mitarbeiter, Kriminalkommissar Michael Schauß.«
Tannenberg blickte sich um. Er sah zwar eine aus mehreren kleinen Felsen und einer waagrechten Sandsteinplatte bestehende Brunnenanlage, aber er entdeckte dort weder eine Frauenleiche noch irgendwelchen Waldschmuck, wie man ihn bei den beiden anderen Opfern gefunden hatte.
»Wo ist denn die Tote?«, fragte er verwundert in die Runde der versammelten LKA-Mitarbeiter, von denen er zwei gleich erkannt hatte. Es handelte sich um die beiden Männer, die ihn erst vor kurzem zum Abbruch eines aussichtsreichen Schachspiels in der Pathologie genötigt hatten.
»Oben im Kühlwagen! Bei der Hitze haben wir sie gleich mal kaltgestellt«, rief einer der beiden lachend. »Da ist sie auch nicht so allein, denn sie kann sich schließlich mit dem Kerl aus der Arrestzelle unterhalten. Sie liegt ja direkt über ihm.«
»Michael, pass ja genau auf: Das eben war ein klassisches Lehrbeispiel für diesen berühmten Mainzer Fastnachtshumor! Mit dem konnte ich schon als Kind nichts anfangen. Ich weiß noch ganz genau, wie ich vor dem Fernseher saß, mir diesen ›Määnz, wie es singt und lacht‹-Schwachsinn anschauen musste und dabei absolut nicht nachvollziehen konnte, worüber diese komischen Leute sich da so köstlich amüsierten«, giftete der Chef der Sonderkommission ›Pilze‹.
»Tannenberg, Sie sind ja wirklich genau so, wie man Sie mir beschrieben hat!«, meinte der LKA-Leiter vorwurfsvoll.
»Und Sie sind genau so, wie ich mir einen Leitenden Kriminaloberrat in Diensten des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz vorgestellt habe!«, schoss Tannenberg direkt zurück. »Wieso sind Sie denn eigentlich überhaupt hier?«
»Ganz einfach: Wir wurden zuerst von dem Selbstmord dieses Mannes, den ihr gestern verhaftet habt, verständigt, und da wir ja kriminaltechnisch und gerichtsmedizinisch zuständig sind, haben wir uns heute Morgen gleich auf den Weg hierunter zu euch gemacht. Und als wir den Toten gerade eingepackt hatten, kam die Nachricht, dass ein Autofahrer wieder eine Leiche auf einem Felsen gefunden hat. Da hab ich mir gedacht: Ist ja praktisch, dass wir sowieso da sind. Die nehmen wir auch noch gleich mit. Geht ja dann quasi in einer Sauerei hin!«
»Ihr seid wirklich richtige Scherzbolde, ihr albernen Fastnachtsgesichter!«, schimpfte Tannenberg. »Wieso habt ihr den Leichnam denn nicht wenigstens so lange liegen lassen, bis wir ihn auch begutachtet haben?«
Kriminaloberrat Wagner ließ sich nicht provozieren. »Bei den Temperaturen und der Luftfeuchte heute Morgen? Wir wussten ja auch gar nicht,
Weitere Kostenlose Bücher