Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall
anschwellende Stimmengewirr hinein schrie plötzlich Petra Flockerzie: »Der Chef! Oh Gott, wo ist der Chef?«
Im selben Augenblick wurde die Tür geöffnet und Tannenberg betrat leicht angeheitert den großen Konferenzsaal. »Was rufst du mich so laut, oh holde Flocke? Da bin ich ja schon, dein Prinz mit der Locke.«
Betretenes Schweigen.
»Was ist denn hier für ’ne traurige Stimmung? Ist jemand gestorben oder was? Oder hängt’s nur daran, dass der Herr Oberstaatsanwalt sich mal wieder die Ehre gibt?«
»Tannenberg, jetzt reißen Sie sich aber mal zusammen!«, schimpfte der Polizeipräsident aus der linken hinteren Raumecke. »Sind Sie etwa betrunken?«
»Nein, Chef, das sind nur die Auswirkungen von meinem Geburtstag gestern. Zum Essen eben hab ich wirklich nur ein Weizenbier gehabt«, entgegnete Tannenberg verlegen und begab sich wie ein geprügelter Hund zu einem unbesetzten Stuhl, direkt neben seiner Sekretärin.
Gleich nachdem er Platz genommen hatte, legte ihm Petra Flockerzie ihre Hand kurz auf seinen Oberschenkel und flüsterte leise: »Gott sei Dank, dass Ihnen nichts passiert ist.«
»Wenn ich nun wieder um Ruhe bitten dürfte!«, mahnte der Polizeipräsident energisch und erteilte Dr. Hollerbach abermals das Wort.
»Der getötete Beamte stand seit 15 Jahren in Diensten des Landeskriminalamtes …«, sagte der Oberstaatsanwalt, räusperte sich erneut und schien sich irgendwie davor zu sträuben, mit seinen Äußerungen fortzufahren.
»Ist er denn bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen?«, wollte ihm Geiger hilfreich zur Seite springen.
»Nein …« Dr. Hollerbach druckste herum wie ein kleiner Schuljunge, der sich nicht getraute, seinem Vater eine schlechte Note mitzuteilen. »Nein, er wurde ermordet.«
»Ermordet?«, fragte ein vielstimmiger Beamtenchor.
»Ja, leider … Der Kollege wurde Opfer eines brutalen Verbrechens, eines perfekt geplanten und heimtückisch durchgeführten Mordes.«
»Wie und wo ist das passiert? Wer ist der Mann?«, fragte Tannenberg.
»Sie kennen ihn«, sagte der Oberstaatsanwalt leise.
»Der war bestimmt heute Morgen am Balkenbrunnen dabei«, rief Schauß dazwischen.
»Wieso behaupten Sie, dass ich ihn kenne? Woher wollen Sie das wissen?«, drängte Tannenberg, ohne auf Schauß Einwurf zu reagieren.
Dr. Hollerbach wurde immer bleicher. Er kniff die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Dann fasste er sich ein Herz und gebar endlich das Unfassbare: »Sie kennen ihn sogar sehr gut!«
»Wieso?«
»Sie waren sogar längere Zeit mit ihm in derselben Wohnung!«
»Wie – in derselben Wohnung? Ach du Scheiße! – Der Borngesser!«, klickte es bei Tannenberg. »Der angebliche Trittbrettfahrer war ein LKA-Mitarbeiter! Oh Gott! Jetzt kapier ich endlich: Der spielte den Köder für unseren Frauenmörder! Und wir alle hier waren nicht informiert. Das gibt es doch nicht. Seid ihr denn vollkommen wahnsinnig geworden?«
Die SOKO-Mitarbeiter blickten sich mit offenen Mündern und großen Augen fassungslos an. Dann ging ein anschwellendes Raunen durch die Gruppe, das sich in Windeseile zu lautstark vorgetragenen Empörungsbekundungen steigerte.
»Bitte, meine Damen und Herren, beruhigen Sie sich. Was passiert ist, ist schrecklich! Aber wir können es nun mal nicht mehr ändern. Wir müssen unsere Arbeit weitermachen, so schwer es uns auch fallen mag. Gegenseitige Schuldzuweisungen bringen uns jetzt überhaupt nicht weiter«, versuchte der Polizeipräsident die erregten Gemüter zu beruhigen.
Tannenberg reagierte völlig anders als erwartet. Es folgte kein Tobsuchtsanfall, nicht eine wüste Beschimpfung verließ seinen Mund. Er saß deprimiert am Tisch, starrte mit leerem Blick auf den Boden.
»Warum hat man den armen Mann denn nicht bewacht, wenn man ihn schon als Köder missbraucht hat?«, sagte er leise vor sich hin; aber da inzwischen wieder völlige Stille im Raum herrschte, reagierte der Oberstaatsanwalt sofort.
»Er wurde nicht missbraucht. Er hat an einer detailliert geplanten LKA-Aktion freiwillig teilgenommen und …«
»Wieso konnte dieses Fiasko dann überhaupt passieren, wenn alles so perfekt geplant war?«, unterbrach der Leiter der SOKO ›Pilze‹.
»Weil das LKA nur vor dem Gebäude und in der Wohnung präsent war, und nicht im Treppenhaus, wo der Mord dann stattgefunden hat.«
»Und wie ist der Täter dorthin gekommen?«
»Wahrscheinlich über den Dachboden«, sagte Dr. Hollerbach kleinlaut.
»Wie? Über den Dachboden? Haben die das
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