Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall
Korridors befindliche Zugangstür zum Dachboden geöffnet und die steile Treppe hinauf zum offen zugänglichen gemeinsamen Speicher der Reihenhäuser emporgeklettert war, schloss er die Augen, konzentrierte sich und rief sich die Skizze in Erinnerung, die zu Hause bei ihm in einer Schublade lag. Vom Treppenhaus aus gesehen, das er eben benutzt hatte, war es die übernächste Abgangstür, kombinierte er schnell.
Als er dort angekommen war, musste er nur noch vorsichtig mit der Zange von innen den schmalen Schieberiegel zur Seite ziehen.
Bis in die Haarspitzen mit Adrenalin vollgepumpt, stand er hinter der nur spaltbreit geöffneten Dachbodentür.
Und wartete.
In unregelmäßigen Zeitabständen wischte er sich den Schweiß von seiner Stirn.
Plötzlich hörte er von unten Geräusche, die eindeutig von einer elektrischen Schließanlage stammen mussten. Dann behäbige Schritte.
Er konzentrierte sich und schloss die Augen.
Wahrscheinlich handelt es sich nur um eine Person, die die Treppe zu mir hochkommt, hörte er seine innere Stimme sagen.
Jemand öffnete die Wohnungstür, die sich etwa zwei Meter von seinem Beobachtungspunkt entfernt befand. Er zuckte zusammen. Traute sich kaum mehr zu atmen. Sein Herz klopfte so schnell und laut, dass er es am liebsten abgestellt hätte. Dann sah er ihn: Es war wirklich Tannenberg, der die Treppe emporgestiegen kam und anschließend in der Wohnung verschwand. Die Tür wurde ins Schloss gezogen.
Sein rasender Puls normalisierte sich wieder ein wenig.
Es hatte doch tatsächlich geklappt! Tannenberg war alleine gekommen. Also hatte das Ablenkungsmanöver mit dem an Schauß Frau geschickten Blumenstrauß funktioniert.
Zu gerne hätte er gewusst, was sich in den unendlich langen Minuten seines Wartens hinter den Mauern zwischen ihm und der Wohnung abspielte. Je länger er dort stand, umso unruhiger wurde er wieder. Seine Hände trommelten auf den seitlichen Hosennähten, die rechte Hand umfasste in kurzen Zeitabständen den hölzernen Griff des angespitzten Grillspießes, während die linke sich mehrmals der Existenz des Elektroschockers versicherte. Wie eine Katze vor dem Mauseloch lauerte er hinter der leicht geöffneten Dachbodentür: Diszipliniert und hochkonzentriert wartete er gespannt auf den richtigen Zeitpunkt für die Tod bringende Attacke.
Dann ging alles blitzschnell.
Als er sah, dass er ihm den Rücken zudrehte, stürzte er sich von hinten auf ihn und rammte ihm mit voller Wucht den stählernen Grillspieß in den Rücken. Damit der Mann nicht laut polternd die Treppe hinunterfiel, fasste er gleichzeitig mit seiner linken Hand in dessen Hemd und zog ihn nach hinten.
»Gott sei Dank, dass du gleich gekommen bist. Ich wäre vor Angst fast gestorben!«, sagte Sabrina mit zitternder Stimme zu ihrem Mann, der sie wie ein weinendes Baby in seinen starken Armen wiegte. »Wenn mir einmal jemand gesagt hätte, dass ich irgendwann mal solche Panik bekomme, ich hätte es nicht geglaubt! Was muss das nur für ein perverses Schwein sein, der sich so daran aufgeilt, Menschen Angst einzujagen?«
»Ich weiß es auch nicht. Jedenfalls wird es höchste Zeit, dass wir diesen Dreckskerl endlich zu fassen kriegen. Und jetzt auch noch die Sache mit dem Trittbrettfahrer-Mord.«
»Mit welchem Trittbrettfahrer-Mord?«
Schauß informierte seine Frau über den aktuellen Stand der Dinge. »Weißt du was, Sabrina, du bleibst ab jetzt immer bei mir. Ich spreche nachher mit Tannenberg, der soll den Präsidenten anrufen und ihn darum bitten, dass du aufgrund dieser Morddrohung, denn um nichts anderes handelt es sich hier!«, Sabrina schluchzte kurz auf, »zur SOKO abgeordnet wirst.«
»Das ist eine gute Idee, Mischa«, beruhigte sich die junge Polizistin allmählich.
»Ich fahr dich nachher ins Kommissariat. Dort übernimmst du den Telefondienst. Dann hat die Flocke endlich mal Zeit, die Berichte zu tippen. Da ist der Tannenberg bestimmt mit einverstanden. Aber vorher begleitest du mich noch zu unserer ersten gemeinsamen Amtshandlung!«
»Wohin?«
»Wir statten jetzt Tannenbergs speziellem Freund, Oberförster Kreilinger, in seinem Forsthaus einen unangemeldeten Besuch ab. Das ist der, der den armen Exhibitionisten zu uns ins Kommissariat geschleppt hat. Irgendwas stimmt mit dem Kerl nicht. Bei den beiden ersten Leichen war er immer schon zur Stelle, wenn wir eingetroffen sind. Und bei der Frau heute Morgen: Keine Spur von ihm. Wie wenn er gewusst hätte, dass es sich dabei um den Mord
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