Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall
mir das Tier einfach vor die Haustür gelegt. Oder aber er hat die Katze auch schon vorher an der Seitentür deponiert, wo ja nur selten einer vorbeikommt. Schließlich hatte er sich an diesem Abend verspätet. Weiteres Gegenargument.«
Schauß dachte angestrengt nach.
»Er hat kein Motiv!«, schoss es aus ihm heraus.
»Wieso hat er kein Motiv? Willst du damit etwa behaupten, dass du in die tiefsten Abgründe einer menschlichen Seele blicken kannst – zumal in die besonders mysteriösen Untiefen einer Pathologenseele?«
»Nein, kann ich natürlich nicht!«
»Und wie kannst du dann behaupten, dass ein so überaus intelligentes Kerlchen wie unser Doc kein Motiv für diese Schandtaten haben könnte? Vielleicht besteht das Motiv ja nur darin, uns zu zeigen, wie blöd wir sind. Mordserie aus Geltungsbedürfnis – wär doch nicht schlecht, oder? Was ist zum Beispiel mit Wahnsinn? Einfach nur Wahnsinn, einfach so, ohne jedes erkennbare Motiv. Oder er hat die Morde aus einer völlig irren Motivation heraus durchgeführt, vielleicht als Rache dafür, dass jemand seine Mutter beleidigt hat.«
»Ja, aber …«, brach Schauß ab.
»Aber was, Michael?«
»Ach nichts. Ich wollte eigentlich gerade sagen, dass der genetische Fingerabdruck des Täters ein Beweis für die Unschuld von Dr. Schönthaler ist. Aber, das ist ja wohl Quatsch, schließlich kann der Doc auch das manipuliert haben.«
»Gerade das, Michael! Schließlich kann er von irgendjemandem, am besten von einer inzwischen schon lange verbuddelten Leiche, Genmaterial gesammelt haben und präsentiert es uns nun als Täterspuren.«
»Wolf, mir fällt nichts mehr ein. Du hast gewonnen. Dein Spiel ist mir einfach zu anstrengend!«, gab sich Schauß geschlagen. »Doch, ich hab noch ein Gegenargument: Ich glaube einfach nicht, dass unser Doc zu so was fähig wäre.«
»Du bist dir aber schon bewusst darüber, dass du mit deinem Glaubens-Argument besser im Kirchendienst als in einer Mordkommission aufgehoben wärst, oder?«
15
»Chef, Sie kommen doch nachher auch mit?«
»Wohin mit, Fouquet?«, fragte Tannenberg verwundert, der sich gerade mit seiner Sekretärin über die Reste des im Kühlschrank zwischengelagerten Erdbeerkuchens hermachte.
»Zu meiner Spontanfete zu uns nach Hause. Ich muss ja sowieso noch meinen Einstand geben, und da hab ich mir gedacht, heute wäre genau der richtige Zeitpunkt dafür. Bei dem ganzen Stress hier könnten wir doch alle ein wenig Ablenkung gebrauchen, oder finden Sie nicht?«
»Ich weiß nicht, ob wir uns hier einfach so abseilen können. Schließlich befinden wir uns mitten in einer ganz heißen Ermittlungsphase«, entgegnete Tannenberg zögerlich.
»Aber Chef, bis morgen früh können wir doch sowieso nichts mehr machen, noch nicht mal wegen der Lücken in den Lebensläufen ermitteln.« Fouquet schaute auf seine Armbanduhr. »Die Leute in den Personalabteilungen sind schon längst nach Hause gegangen. – Und meine Mutter hat bereits damit angefangen, alles vorzubereiten.«
»So schnell?«
»Ja, meine Mutter hat ein unglaubliches Organisationstalent. Ist ja auch notwendig, schließlich erscheinen bei uns oft relativ kurzfristig Gäste aus Politik und Wirtschaft.«
Eigentlich fand Tannenberg die Idee gar nicht so schlecht, ein wenig Ablenkung hätte er wirklich gut gebrauchen können; als er aber Fouquets Bemerkung hinsichtlich der ›Gäste aus Politik und Wirtschaft‹ vernahm, schlich sich wieder ausgeprägte Skepsis in sein Gemüt, denn auf ein Zusammentreffen mit solchen Leuten hatte er überhaupt keine Lust. »Na, ich weiß nicht. Ich bin eigentlich viel zu müde und würde lieber mal früh ins Bett gehen.«
Fouquet schien die Gedanken seines Vorgesetzten erraten zu haben. »Chef, aber heute kommt garantiert niemand. Wir sind ganz unter uns. – Seien Sie kein Frosch! Die anderen kommen doch auch alle mit, bis auf den Oberstaatsanwalt, der hat schon was anderes vor.«
»Die Sache wird ja immer interessanter«, meinte Tannenberg, dessen Motivation sich anscheinend wieder steigerte. »Das ist ohne Frage ein sehr starkes Teilnahmeargument. – Also gut: Du kannst mit mir rechnen. Das bin ich schließlich auch meiner Belegschaft schuldig, nicht wahr Flocke?«
»Klar, Chef, da gibt’s bestimmt auch was Feines zu essen«, bemerkte die Sekretärin schmatzend.
»Aber immer! Vor allem die Fischplatten, die mag ich am allerliebsten!«
»Fisch? Also, jetzt hast du mich vollkommen überzeugt! Es gibt nur ein kleines
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