Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall
befehlend und drückte die Kriminalpsychologin auf die nächstmögliche Sitzgelegenheit.
»Nicht so stürmisch, Herr Kollege«, rebellierte sie gegen sein allzu grobes Benehmen.
»Entschuldige. Hör zu: Ich hab eine irre Theorie!«
»Dann schieß mal los«, forderte die Profilerin neugierig und lehnte sich entspannt in den Couchsessel zurück.
»Also, wo fang ich an?«, begann Tannenberg und versuchte seine konfusen, pulsierenden Gedankenströme zu ordnen.
»Leg einfach mal los. Dann kommt mit der Zeit schon von alleine Struktur in das Chaos«, empfahl die erfahrene Psychologin.
»Okay! Aber warte, ich muss zuerst noch schnell telefonieren.«
»Wieso?«
Tannenberg antwortete nicht, sondern suchte fieberhaft im Telefonbuch nach der Nummer von Dr. Kai Bohnhorst, seinem ehemaligen Klassenkameraden.
»So ein Mist, da steht nur die Nummer der Arztpraxis drin«, schimpfte Tannenberg und warf das weißrote Telefonbuch auf den Boden.
»Wen suchst du denn?«
»Die Nummer eines alten Kumpels.«
»Dann ruf trotzdem mal an, manchmal haben die Ärzte ihre Privatnummer auf Band gesprochen, für Notfälle.«
Erneutes Stöbern nach der Nummer.
Erneuter Anruf.
Aber das süße, freundliche Stimmchen auf dem Anrufbeantworter sagte kein Sterbenswörtchen darüber, wie man den Herrn Doktor privat erreichen konnte.
»Ich Idiot!«, rief Tannenberg plötzlich, schlug sich mit der Handfläche auf die Stirn und begann in der direkt unter seinem Telefonapparat befindlichen Schublade herumzuwühlen.
»Da ist sie ja: Die Liste mit den Privatnummern meiner alten Schulkameraden, die uns einer nach dem letzten Klassentreffen zugeschickt hat. Aber die von Lars Mattissen ist nicht dabei. Das war ja auch der Einzige, der nicht gekommen war«, sagte er mehr zu sich selbst, während er anfing, die Ziffernfolge von Kai Bohnhorsts Telefonnummer in die Tasten einzugeben.
Tannenberg wartete erst gar nicht, bis sich sein alter Schulfreund über die nächtliche Ruhestörung beschweren konnte, sondern legte gleich los: »Kai, hier ist Wolfram Tannenberg. Ich brauch unbedingt eine Auskunft von dir: Hast du in der letzten Zeit irgendetwas von Lars Mattissen gehört? Weißt du, wo der arbeitet, wo der wohnt?«
»Den hab ich schon ewig nicht mehr gesehen«, brummte eine verschlafene Männerstimme am anderen Ende der Leitung. »Wo der wohnt, weiß ich auch nicht.«
»Und beruflich?«
»Ich erinnere mich nur daran, dass einer beim letzten Klassentreffen gesagt hat, dass der Lars Biologe hier an der Uni sei, Humanbiologe, glaub ich.«
»Wieso war der eigentlich nicht zur 25-Jahr-Feier gekommen? Hast du ’ne Ahnung?«
Wortloses Brummen aus dem Hörer. »Ich glaub, irgendeiner hat Kontakt zu ihm aufgenommen und ihn eingeladen. Aber angeblich hatte er keine Zeit, weil er sich um seine alte Mutter kümmern musste. Oder so was Ähnliches! Du glaubst doch nicht etwa …«
Tannenberg hatte schon aufgelegt und rief Schauß auf seinem Handy an. »Wo bist du gerade?«
»Im Büro.«
»Gut, dann kümmer dich sofort um die Adresse und Telefonnummer eines gewissen Lars Mattissen, mit Doppel-T und Doppel-S. Und ruf mich gleich an, wenn du was hast!«
»Ja, mach ich. Was ist mit dem?«
»Ich hab jetzt keine Zeit für lange Vorträge. Ich erklär dir’s später!«, entgegnete Tannenberg knapp und wandte sich wieder seiner Kollegin zu. »Los, komm, wir fahren hoch zur Uni.«
»Was willst du denn jetzt um diese Uhrzeit an der Uni? Da ist doch niemand mehr«, wandte die Psychologin kritisch ein.
»An einer naturwissenschaftlichen Universität ist immer einer im Fachbereich, zum Beispiel einer, der die nächtliche Ruhe dazu nutzt, um ungestört wichtige Versuche für seine Doktorarbeit durchführen zu können«, sagte der Leiter der Kaiserslauterer Mordkommission und drängte seine Kollegin mit Vehemenz zum sofortigen Aufbruch.
Da Tannenberg früher von Lea regelmäßig jedes Jahr zum Unifest mitgeschleppt wurde, konnte er sich auf dem weitläufigen Gelände zumindest einigermaßen gut zurechtfinden. Wenn er sich richtig erinnerte, war der Fachbereich Biologie in einem der Neubauten direkt am Waldrand untergebracht.
Als die beiden Kriminalbeamten die Kuppe an der Pfaffenbergstraße passierten und damit in den südlichsten Bereich des Universitätsgeländes vordrangen, blickten sie mitten in einen großen hellen Vollmond, der von einem dünnen, ungleichmäßigen Wolkenhof umgeben war.
»Scheiß Vollmond!«, platzte es aus Tannenberg spontan heraus.
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