Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall
Deckenlampe einen mittelgroßen Tisch in grelles Licht tauchte, während der Rest des aufgeräumten Wohnzimmers nur mit fahlem Streulicht versorgt wurde.
»Los Karl, sag der Kollegin, dass sie reinkommen soll, und mach dann die Tür zu«, war das Erste, was Tannenberg nach diesem Schock über die Lippen kam. »Komm, beeil dich, sonst läuft hier gleich das ganze Haus zusammen.«
Während der Kriminaltechniker die Abschlusstür vorsichtig ins Schloss zog, schaltete sich plötzlich wieder der auf einer schmalen Flurkommode befindliche Kassettenrecorder ein, den die beiden Ermittler ganz vergessen hatten.
»Hallo, Wolfram Tannenberg, wie ich sehe, bist du mir endlich auf die Spur gekommen. Hat ja auch lange genug gedauert. Aber wenn du es nicht rechtzeitig hierher geschafft hättest, wärst du jetzt von mir auf deinem Handy angerufen worden. Die Zeit drängt, schließlich ist heute die erste Vollmondnacht!«, sagte die Männerstimme aus dem Lautsprecher. »Kennst du eigentlich die griechische Sage von Perseus? Nein? Hab ich mir gedacht! Solche anspruchsvollen Themen haben dich schon in der Schule nicht interessiert. Also, für dich die Kurzfassung: Kassiopeia, eine äthiopische Königin, legte sich mit irgendwelchen Göttinnen an, die als Reaktion auf diese Ehrverletzung damit drohten, ihr Königreich zu zerstören. Ein Orakel gab dem König den heißen Tipp, seine Tochter Andromeda zu opfern. So würde das Land verschont bleiben. Also wurde Andromeda an den Strand geführt und mit Ketten an einen Felsen gefesselt. Und als sie dort dem baldigen Tod durch ein Meeresungeheuer geweiht hing, kam zufällig Perseus auf seinem geflügelten Pferd vorbei – und rettete sie. Das war eine Sage aus der Antike, und nun zu dir! Irgendwo im Pfälzer Wald hängt zur Zeit eine junge Frau ebenfalls an einem Felsen und wartet auf ihren Perseus. Sie ist nur betäubt, trägt aber einen todbringenden Rucksack auf ihrem Rücken. Darin befindet sich ein auf ihr Herz gerichteter Bolzenschussapparat, in dem einer dieser schönen Grillspieße steckt, wie ich ihn bei der Trittbrettfahrersache absichtlich zurückgelassen habe. Du denkst jetzt natürlich daran, sofort alle möglichen Leute in den Wald zu schicken, um diesen Felsen zu suchen. Von diesem Gedanken solltest du dich aber schleunigst wieder verabschieden! Diese Tötungsmaschine habe ich natürlich mit einer Fernsteuerung versehen, die ich sofort betätigen werde, wenn irgendwer in der Nähe dieses Felsens auftaucht. – So, und nun zu unserem Spiel: Auf dem hell erleuchteten Tisch ist ein Schachrätsel aufgebaut, das du so schnell wie möglich lösen solltest. Es ist nicht sonderlich schwer. Weiß ist am Zug. Gesucht wird ein Matt in drei Zügen. Wenn du die Lösung gefunden hast, wartest du hier in der Wohnung, bis ich mich bei dir melde.«
Noch während die beiden anderen Kriminalbeamten andächtig der Stimme aus dem Recorder lauschten, begab sich Tannenberg bereits zu besagtem Tisch, setzte sich aber nicht hin, sondern blickte von oben herab auf die rätselhafte Schachstellung.
»Karl, hast du einen Block und einen Stift dabei? Wenn nicht, dann such mir mal was hier in der Wohnung«, rief er hinaus in den Flur.
»Doch, so was hab ich natürlich immer am Mann«, sagte der Mitarbeiter der Spurensicherung und kramte aus seiner Jackentasche die gewünschten Materialien.
»Sag mal, kann von euch eigentlich jemand Schach spielen?«
»Also ich weiß nur, wie die Figuren ziehen«, antwortete die Psychologin.
»Und ich hab damit überhaupt nichts am Hut«, ergänzte Mertel.
Tannenberg notierte sich die genaue Ausgangsposition jeder einzelnen der kunstvoll gestalteten Zinnfiguren und probierte erste Spielvarianten aus. »Karl ruf mal den Doc an und gib ihm die Notation hier durch.«
»Was?«, fragte der Kriminaltechniker, der mit seiner nach wie vor eingeschalteten Taschenlampe in der Wohnung herumschlich.
»Du rufst ihn an, sagst ihm, was Sache ist und gibst ihm die Zahlen und Buchstaben hier durch.«
Tannenberg reichte ihm den Zettel mit der Ausgangsstellung der Schachaufgabe.
»Soll er herkommen?«
»Nein, er soll zu Hause in Bereitschaft bleiben und versuchen, so schnell wie möglich das Schachrätsel zu lösen. Sicherheitshalber soll er noch einen seiner Kumpels aus dem Schachclub, am besten den, der am ersten Brett spielt, aus dem Bett klingeln. Der soll zu ihm kommen und ihm dabei helfen!«
Tannenberg grübelte, nahm einen Springer vom Brett, setzte ihn auf ein
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