Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall
wissen, dass er entweder ein noch kräftigerer Typ als unser top durchtrainierter Michael sein muss, also praktisch ein junger Bodybuilder, oder, dass er die halbe Nacht für seine Aktion gebraucht hat. – Aber warum macht der sowas?«
»Weil er halt verrückt ist«, meinte Geiger trocken und rülpste anschließend wie ein brünstiger Rothirsch.
»Gesundheit Geiger!«, sagte Tannenberg übertrieben laut und wandte sich angewidert zu Fouquet. »Was meinst du eigentlich zu der Sache?«
Der Kommissaranwärter hatte dem beeindruckenden Schauspiel die ganze Zeit über wortlos beigewohnt. »Chef, ich denke gerade darüber nach, dass es auch noch eine andere Möglichkeit geben könnte.«
»Und welche?«, fragte Tannenberg interessiert.
»Na, zum Beispiel die, dass der Mörder dieses ganze Zinnober hier und am Pfaffenbrunnen nur deshalb inszeniert hat, um eine falsche Spur zu legen und sein wahres Tatmotiv zu verschleiern.«
»Also, praktisch ein gigantisches Ablenkungsmanöver. Natürlich ist das auch eine theoretische Möglichkeit. Aber welches Motiv könnte denn dahinterstecken? Mir fällt einfach keines ein. Wenn die Toten zwei Manager wären oder zwei Politiker oder was weiß ich wer, dann hätte ich vielleicht Ideen für ein verdecktes Mordmotiv, das hinter diesem ganzen Wahnsinn hier stecken könnte. Aber bei zwei ganz normalen Frauen? Wo ist da ein Motiv zu entdecken?«
»Wolf, vielleicht sind die Frauen ja gar nicht so normal, wie wir glauben«, gab Kommissar Schauß, der allmählich wieder zu Kräften kam, kritisch zu bedenken. »Oder es gibt überhaupt kein Motiv.«
»Was? Zwei oder vielleicht noch mehr Morde ohne Motiv? Das gibt’s nicht! Selbst wenn einer nur mordet, weil es ihm Spaß macht, hat er ein Motiv, nämlich Mordlust!«, belehrte Tannenberg. »Also ich seh absolut kein Land. Wir müssen unbedingt abklären, ob es eine Verbindung zwischen den beiden Toten gibt. Das ist der Schlüssel zu dem Ganzen, da bin ich mir völlig sicher! Deshalb brechen wir jetzt hier ab. Michael und ich fahren nochmal nach Hochspeyer und ihr beiden erledigt das, was ich euch vorhin bei der Besprechung aufgetragen habe.«
Die kreisrunde Analoguhr im Armaturenbrett hatte bereits 18 Uhr überschritten, als Tannenberg und sein Mitarbeiter in der Ringstraße in Hochspeyer ihren Dienstwagen abstellten. Nachdem sie ihr Auto verlassen hatten, stieg ihnen sofort dieser typische Grillgeruch in die Nase, dieser einzigartige Duft, der nur dann entsteht, wenn man das Fleisch ohne geschmackszerstörende Alufolie direkt auf einen Schwenkgrill oder dergleichen legt und nahe über der Glut brät. Tannenberg registrierte diese appetitanregende Bereicherung der lauen Sommerabendluft deshalb so intensiv, weil bei ihm zu Hause wegen angeblicher Gefahren für die Gesundheit zu solchen Anlässen immer nur ein Elektrogrill benutzt wurde.
Schauß läutete mehrmals.
Niemand öffnete.
»Komm, lass uns mal dem Grillgeruch nachgehen. Dort sitzen bestimmt Leute zusammen. Da kann man uns vielleicht sagen, wo sich der Herr Müller aufhält«, sagte Tannenberg.
Die beiden Ermittler staunten nicht schlecht, als sie zwei Häuser weiter den gesuchten Familienvater mit anderen Personen in froher Runde an einem Biertisch sitzen sahen. Man merkte dem Witwer deutlich an, dass er mit dem unangemeldeten Besuch der beiden Kriminalbeamten nicht gerechnet hatte, denn als er Tannenberg und seinen Mitarbeiter erkannte, stürmte er mit hochrotem Kopf gleich auf sie zu und bat sie, ihn in sein Haus zu begleiten.
»Es ist mir sehr unangenehm, was sie jetzt über mich denken«, begann er sofort, nachdem er die Eingangstür ins Schloss gezogen hatte.
»Wieso? Was glauben Sie denn, was wir jetzt über Sie denken?«, spielte ihm Tannenberg den Ball wieder zurück.
»Na, dass ich nicht richtig um meine Frau trauere. Aber jeder hat ja seine eigene Art zu trauern. Und wenn ich nur zu Hause rumsitze, werde ich wahnsinnig. Die Kinder fragen immer nach ihrer Mutter. Es ist fürchterlich. Da war ich richtig froh, dass mich die Nachbarn heute Abend zum Grillen eingeladen haben. Das müssen Sie doch verstehen, dass ich mich in meiner Situation auch mal ablenken muss. Es muss doch irgendwie weitergehen …«
»Verstehen wir ja, Herr Müller, Sie haben es jetzt sicher nicht einfach. Außerdem müssen Sie Ihr Verhalten nicht vor uns rechtfertigen. Wir möchten nur gerne noch ein paar Sachen von Ihnen wissen«, sagte Schauß und gab damit die Steilvorlage für das, was
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