Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall
sein Vorgesetzter nun fragen wollte.
Tannenberg nahm sein Gegenüber genau ins Visier. Als berufserfahrener Ermittlungsbeamter spürte er ganz deutlich die Angst und Unsicherheit, die den gestern zum Alleinerzieher gewordenen Familienvater beherrschte. Nun war es an der Zeit, das, was er von Kriminalrat Weilacher in den vielen gemeinsam durchgeführten Verhören gelernt hatte, selbstverantwortlich in die Tat umzusetzen.
Sein Mentor nannte die bewährte kriminalistische Gesprächsstrategie immer ›kreative Befragung‹, obwohl dieser Begriff dem ziemlich aggressiven psychologischen Vorgehen eigentlich überhaupt nicht entsprach, ging es doch schließlich um nichts anderes als darum, das Opfer psychologisch massiv unter Druck zu setzen, zu verunsichern und zu verwirren. Alles diente nur dem einen Zweck: Die Wahrheit ans Tageslicht zu befördern.
»Herr Müller, wie uns Ihre Mutter mitgeteilt hat, waren Sie gestern Abend noch im Wald spazieren. Sind sie hoch zur Weltachs?«, begann er.
»Ja, das bin ich. Ich wollte sehen, wo man Jutta gefunden hat … Vielleicht eine Form von Abschied. Ich weiß nicht.« Tränen schossen ihm in die Augen. Er nahm die Hände vors Gesicht und begann herzergreifend zu schluchzen.
»Was sind Sie eigentlich von Beruf?«, fragte nun Schauß.
»Bitte? Was?«
»Was Sie von Beruf sind, Herr Müller, möchte mein Kollege wissen«, sagte Tannenberg.
»Beruf? Ja, ich bin Arzt im Klinikum.«
»Welche Fachrichtung?«, schob Kommissar Schauß direkt nach.
»Fachrichtung? HNO, also Hals-Nase-Ohren.«
Tannenberg zeigte, dass er ein wahrhafter Meister der Verwirrungsstrategie war. »Wie war Ihre Ehe, war Sie glücklich?«
»Meine Ehe? Ja sicher war sie glücklich.«
»Kennen Sie diese Frau?«, fragte Tannenberg plötzlich und drückte dem völlig verdutzten Witwer ein Foto von Elvira Kannegießer in die Hand.
»Diese Frau? Noch nie gesehen!«
»Schauen Sie es sich ganz genau an. Haben Sie diese Frau früher schon mal irgendwo gesehen? Vielleicht bei einer Sportveranstaltung, an der Ihre Frau teilgenommen hat. Oder auf einem Bild in Ihrem Fotoalbum.«
Müller schüttelte mehrmals den Kopf. Auf einmal schien er eine rasante Wesensveränderung zu durchleben, denn der bisher in sich zusammengesunkene Mann richtete plötzlich seinen Oberkörper auf, hob den Kopf, legte beide Arme parallel vor sich auf den Tisch und sah Tannenberg mit frisch aufgeblühtem Selbstbewusstsein direkt in die Augen. »Herr Kommissar, was soll das hier eigentlich? Ist das ein Verhör? Werde ich etwa verdächtigt, meine Frau und möglicherweise auch noch die andere Frau umgebracht zu haben? Da muss ich jetzt wohl meinen Anwalt verständigen.«
Aus langjähriger Erfahrung wusste Tannenberg nur zu gut, dass er seine Gesprächsstrategie nun ändern musste. »Nein, Herr Müller, weder führen wir hier ein Verhör durch, noch wollen wir Sie verdächtigen. Uns geht es lediglich darum, Informationen zu erhalten, die uns bei der Aufklärung dieser beiden Mordfälle hilfreich sind. Und es liegt ja wohl auch in Ihrem Interesse, den Mörder Ihrer Frau so schnell wie möglich zu finden, damit dieser Kerl nicht noch weiteres Unheil anrichten kann.«
»Ja, sicher«, entgegnete der Angesprochene wieder merklich kleinlauter.
Tannenberg witterte eine neue Chance. »Nur noch eins, Herr Müller: Sie haben gesagt, Ihre Ehe war sehr glücklich. Da haben Sie sich bestimmt sehr über Ihr drittes Kind gefreut.«
»Natürlich haben wir uns über unser drittes Kind gefreut, vor allem darüber, dass wir nach zwei Mädchen doch noch einen Jungen bekommen haben.«
»Wie?« Tannenberg legte seine Stirn in Falten. »Haben Sie bereits drei Kinder?«
»Klar. Zwei davon haben Sie ja gesehen. Und die Große hat gestern bei einer Freundin übernachtet.«
»Haben Sie gewusst, dass Ihre Frau wieder schwanger war, im dritten Monat?«, warf Schauß ein.
Müllers Gesicht wechselte von einer zur anderen Sekunde die Farbe: Der leicht sonnengebräunte Teint wurde vollständig durch aschgraue Farbe ersetzt; Augen und Mund wurden weit aufgerissen. »Was? – Schwanger? – Jutta?«
»Ja, Ihre Frau war im dritten Monat schwanger. Haben Sie nichts davon gewusst?«, insistierte Tannenberg.
»Nein, davon hab ich nichts gewusst«, antwortete Müller in Zeitlupentempo und schüttelte dabei den Kopf.
»Dann müssen wir Sie bitten, morgen in der Pathologie bei Ihrem Kollegen Dr. Schönthaler wegen eines Vaterschaftstests vorbeizuschauen.«
»Nein.«
»Wieso,
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