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Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall

Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall

Titel: Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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seit vielen Jahren in Einbahnstraßen das Fahrradfahren entgegen der Fahrtrichtung erlaubt ist?«, blökte der Mann aggressiv zurück.
    Tannenberg hatte sich in der Zwischenzeit in Richtung des Unfallverursachers umgedreht. Zunächst sah er nur muskulöse, rasierte Männerbeine. Als er nach oben schaute, erblickte er einen kräftigen Mann in Radfahrerkleidung, der eine silberne Sonnenbrille und eine blaue Baseballmütze auf dem Kopf trug.
    »Mensch, das gibt’s doch nicht! Die Tanne! Und dann auch noch gefällt am Boden«, grölte der sportliche Mountainbikefahrer und nahm seine Brille von der Nase.
    »Das gibt’s wirklich nicht: Der Lars Mattissen!«, erkannte nun auch Tannenberg seinen alten Klassenkameraden.
    »Hoffe, du hast dir nicht wehgetan. Tut mir ja echt leid, aber ich kann wirklich nichts dafür!«
    »Geht schon.« Tannenberg richtete sich auf und ergriff sofort die ihm freundlich entgegengestreckte Hand. »Alles okay. Du hast ja recht, war mein Fehler.«
    »Du, Tanne, ich muss leider sofort weiter. Ich bin sowieso schon zu spät dran. Wir machen nämlich heute ’ne riesen Tour: Wir treffen uns am Eingang der Gartenschau und dann geht’s ab in den Hunsrück und zurück«, sagte der Mann freundlich und sprang auf sein Mountainbike. »Tanne, du wolltest doch mal ein Klassentreffen organisieren. Wäre doch toll, wenn wir alten Kriegskameraden uns alle mal wieder sehen könnten, oder?«
    »Klar, das wäre ’ne super Sache. Mach ich!«
    »Tschau, meld dich mal. Ich steh im Telefonbuch!«, rief Lars Mattissen noch schnell, bevor er rasant beschleunigte.
    ›Tanne‹, so hat mich schon lange keiner mehr genannt. Ein Klassentreffen organisieren? Warum eigentlich nicht, fragte sich Tannenberg, während er die auf der Straße verstreuten Münzen wieder einsammelte.
    Sein Weg in Richtung Samstagsmarkt führte ihn auch ein Stück durch die Fußgängerzone. Zunächst traute er seinen Augen nicht, denn an den markanten Stellen, an denen sonst fahrende Händler ihre Waren anpriesen oder Mitglieder einer Bürgerinitiative gegen den Ausbau des Ramsteiner Flugplatzes den vorbeieilenden Passanten Unterschriften abtrotzten, hatten Kampfsportstudios, politische Parteien und private Wachdienste ihre Stände errichtet. Auf großen Plakaten warb man mit Aktionspreisen für Selbstverteidigungskurse und Personenschutz-Programme. Volksnahe Politiker, auch von solchen Parteien, von denen man ein Engagement in dieser Sache nicht unbedingt erwartet hätte, forderten mit Megaphonen schärfere Gesetze und eine stärkere Polizeipräsenz. Ja, sogar eine Wahrsagerin hatte ihr kleines Zelt neben dem Optikerladen in der Marktstraße errichtet und bot, natürlich zu einem Sonderpreis, ihre Dienste an.
    Tannenberg konnte es wirklich kaum glauben, aber diese Mordserie hatte seine Heimatstadt in einer Form verändert, wie er es bislang noch nie erlebt hatte.
    Stimmt nicht!, schoss es ihm plötzlich ins Bewusstsein.
    Denn er erinnerte sich daran, dass er als Schüler eine ähnlich aufgeheizte Situation schon einmal erlebt hatte. Und zwar damals, als Mitglieder der Rote-Armee-Fraktion das verschlafene Kaiserslautern mit in den Sog der terroristischen Gewalt gezogen hatten. Fast hätte auch er diese heute längst in der Schublade der Zeitgeschichte verstaubte Epoche vergessen. Nun aber, als er zufällig genau die Stelle vor der Hypovereinsbank passierte, an der vor gut 30 Jahren ein junger Polizist von Terroristen erschossen worden war, drängten sich die passenden Erinnerungsbruchstücke mit Vehemenz in sein Gehirn: Attentat auf den Ramsteiner Flugplatz, Terroristenprozess im eigens errichteten, hermetisch abgeriegelten Gerichtscontainer oben im Wald am Erbsenberg, Demonstrationen.
    Demos! Er schmunzelte, als er daran dachte, dass er damals gemeinsam mit seinem Bruder in einem Protestzug vor das Polizeipräsidium gezogen war, weil die Polizei wegen angeblicher RAF-Sympathiebekundungen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion den ASTA der Universität durchsucht und einige ASTA-Mitglieder vorübergehend festgenommen hatte.
    Sie hatten bei ihrer Mutter aus dem Wäscheschrank ein weißes Laken entwendet und im Geräteschuppen zwei Besen enthauptet. Weil es damals noch keinen Edding gab, mussten sie alte Wachsmalstifte verwenden, um die großen roten Buchstaben auf das Leintuch zu malen. Das Laken wurde anschließend mit Reißbrettstiften auf die Stöcke gepinnt und zusammengerollt an den Ort der Solidaritätsaktion in der Logenstraße gebracht.
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