Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall
sofort an einen Verkehrsunfall. Tannenberg ließ die Karten fallen, rannte ans Fenster, riss es auf und blickte suchend nach unten. Er sah nichts. Keine Menschenseele. Wo war nur dieser Schrei hergekommen? Dann kam ihm die Erleuchtung. Er rannte die Treppe hinunter, schaltete die Außenbeleuchtung ein und öffnete die Seitentür zur Garageneinfahrt.
Er sah zunächst nur eine alte Frau, die krampfhaft versuchte, einen kleinen fetten Hund zu bändigen. Sie war kreidebleich, zitterte wie Espenlaub und brachte keinen Ton heraus. Als sie Tannenberg sah, zeigte sie sofort auf die Treppenstufe zu seinen Füßen. Er blickte nach unten. Dort lag eine tote schwarze Katze auf dem Rücken, in ihrem Schlund steckte ein Pilz. Tannenberg reagierte und zog das Tier ins Haus. Dann versuchte er, den Hund zu beruhigen. Inzwischen waren auch seine Eltern im Hausflur erschienen. Sie kannten die Frau und kümmerten sich gleich um sie. Tannenbergs Vater hatte ein Stück Fleischwurst mitgebracht, mit dem es ihm schließlich gelang, den hysterischen Kläffer zu beruhigen.
Nacheinander öffneten sich einige Fenster der angrenzenden Wohnhäuser, die sich aber genauso schnell wieder schlossen, da man die Verursacher des Lärms nicht ausfindig machen konnte. Wahrscheinlich dachten die aufgeweckten Anwohner, dass es sich einmal mehr um jugendliche Randalierer handelte, die den Bürgern ihre wohlverdiente Nachtruhe nicht gönnen wollten.
»Das ist ja genauso wie bei den jungen Frauen: Rückenlage, Pilz in der Kehle«, stellte der SOKO-Leiter nüchtern fest.
»Nur, dass dieses Tier nicht mit einem komplizierten Herzstich, sondern mit einem kräftigen Schlag ins Genick getötet wurde«, ergänzte der Gerichtsmediziner, der sich sofort seine Plastikhandschuhe übergestreift hatte und sich an dem toten Katzenkörper zu schaffen machte. »Übrigens ist das auch kein Waldpilz, sondern ein kleiner Champignon, wie du ihn in jedem Supermarkt kaufen kannst. Ich bin unheimlich gespannt, ob das die vermisste Katze ist. Die Kriminaltechnik hat ja die Spuren in der Wohnung gesichert. Vielleicht war’s ja diesmal nur ein Trittbrettfahrer.«
»Aber woher sollte der denn das mit der verschwundenen Katze wissen?«
»Stimmt, Wolfram. Da hast du natürlich recht.«
»Sag mal, wo hast du eigentlich die Plastikhandschuhe her?«, fragte Heiner Tannenberg staunend.
»Die hat ein guter Gerichtsmediziner immer dabei! Wie du siehst, ist man in meinem Beruf an keinem Ort der Welt vor Überraschungen sicher.«
»Hast du die auch nachts im Schlafanzug stecken?«
»Natürlich, schließlich kann man die auch als Kondome verwenden.«
»Du bestimmt, Rainer!«, schoss Tannenberg eine Salve beißenden Spotts in Richtung seines Freundes und begab sich anschließend zur Befragung der Hundebesitzerin in die elterliche Wohnung.
Bevor Tannenberg am nächsten Morgen zu seiner geplanten Wanderung aufbrechen konnte, musste er erst noch die Mitarbeiter der SOKO ›Pilze‹ über den Katzenfund informieren und sie mit neuen Arbeitsaufträgen versorgen.
»So, Leute, was folgt zwangsläufig aus dem, was ich euch eben über die Ereignisse von gestern Abend berichtet habe?«, fragte Tannenberg in die Runde. »Na? Ist doch wohl sonnenklar, oder? Ihr begebt euch umgehend alle dorthin, wo ich gerade herkomme, nämlich zu meinem Haus in der Beethovenstraße. Und wenn euch dort eine freundliche ältere Dame, die zufälligerweise den selben Namen wie der Leiter dieser Sonderkommission trägt, freundlich zu Kaffee und frisch gebackenem Frühstückskuchen einlädt, dann lehnt ihr dieses verlockende Angebot ab. Kapiert, Geiger?«
»Sicher, Chef.«
»Ihr lehnt also freundlich ab und macht euch sofort auf zur Zeugenbefragung. Schauß teilt vor Ort die jeweils abzuklappernden Häuserbereiche ein. Frau Faber, die gestern Nacht die Katze bei mir an der Haustür gefunden hat, braucht ihr nicht noch einmal zu belästigen. Die hab ich ja gestern Abend schon ausgequetscht.«
»Wo wohnt die Frau?«, wollte Meier III wissen.
»In der Glockenstraße Nummer 9. Ihr könnt das ganze Haus von der Liste streichen, denn die Frau lebt dort allein. Wo war ich stehengeblieben?« Tannenberg kniff kurz die Augenbrauen zusammen. »Ich will alles wissen: Wer, wann und wie lange am Samstagabend auf der Straße war, seinen Hund ausgeführt, gekehrt, Auto gewaschen usw. hat. Ich will wissen, wer, wann und wie lange sich jeder der Hausbewohner in welchem Raum aufgehalten hat, wann er ins Bett gegangen ist. Wann
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