Pinguin Mord
uns ab und zu sehen. Ich wollte, dass ich etwas
über den Mann erfahre, der mein Vater ist.« Sie begann
zu schluchzen, schlang die Füße um die Beine des
Besucherstuhls und barg das Gesicht in den Händen. »Ich
wollte einfach nur endlich einen Vater haben.« Ulbricht
hasste solche Momente. Noch nie war er damit klargekommen, wenn
eine Frau weinte. Weder privat noch dienstlich. Dienstlich war es
fast noch schlimmer, denn da musste er eine gewisse Distanz wahren.
Er räusperte sich verlegen und wühlte in seiner
Schreibtischschublade nach einer Packung Papiertaschentücher.
Er fand die blauweiße Packung und reichte sie dem
Häufchen Elend auf dem Besucherstuhl. Dann verschanzte er sich
wieder hinter dem Schreibtisch und zog tief an seiner
Zigarette.
Thea Gatz
schnäuzte sich lautstark die zierliche Nase und
zerknüllte das Taschentuch, bevor sie ihn durch einen
Tränenschleier anblickte. »Können Sie verstehen,
was in mir vorging, als ich meinem Vater endlich
gegenüberstand? Nach fünfunddreißig Jahren?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das können Sie
wahrscheinlich nicht.«
»Und wie hat er
reagiert?« Ulbricht lenkte ab.
»Es war ihm
alles ganz schrecklich peinlich. Er hat mich angefleht, ich
möge das Ganze nicht an die große Glocke hängen.
Was soll ich sagen - ansatzweise hatte er mich wohl schon als
seine leibliche
Tochter akzeptiert.« Wieder wurde sie von einem Weinkrampf
geschüttelt. »Wir wollten uns nächste Woche
treffen, gemeinsam essen gehen und alles ganz in Ruhe besprechen.
Ich hatte so viele Fragen an ihn. Wir hatten uns in den Donaustuben
in Barmen verabredet. Da kann man ungestört
reden.«
»Haben Sie eine
Idee, wer hinter dem Anschlag auf Ihren Vater stecken
könnte?«
»Sie sind
witzig«, erwiderte Thea Gatz jetzt fast trotzig. »Ich
hatte keine fünf Minuten, um ihn kennenzulernen. Glauben Sie
wirklich, ich hatte Gelegenheit, mit ihm über seine
möglichen Feinde zu sprechen?«
»Wie hat er
reagiert, als der Jaguar auf ihn zuraste?«
»Er stand wie
gelähmt da, niemals werde ich seinen Gesichtsausdruck
vergessen. Er hatte einfach eine wahnsinnige Panik. Sein Gesicht
war eine Maske, der Mund zu einem stummen Schrei geöffnet. In
seinen Augen stand Todesangst, und dann fiel der erste Schuss. Er
rief nur noch ›Bring dich in Sicherheit, das sind
Grotejohanns Leute!‹«
Ulbricht schrieb mit.
»Grotejohann, sagten Sie?«
»Ja. Kennen Sie
den Namen?«
»Jetzt
weiß ich endlich, wo ich die Mörder Ihres Vaters suchen
kann.« Ulbricht seufzte zufrieden, nahm einen letzten Zug von
seiner Zigarette und drückte den Stummel im Aschenbecher aus,
der schon wieder überquoll.
»Und was wird
jetzt aus mir?« Es war eine kleinlaute Frage. »Gehen
Sie nach Hause. Verschwinden Sie, aber halten Sie sich zu meiner
Verfügung.« Ulbricht zog eine Visitenkarte hervor und
überreichte sie ihr, nachdem er den Schreibtisch umrundet
hatte. »Rufen Sie mich an, wenn Ihnen noch was einfällt,
Frau Gatz. Egal wann, Tag und Nacht, wenn es sein
muss.«
»Wissen Sie, wer
die Grotejohanns sind?« Sie erhob sich
schwerfällig.
»Ich sagte doch:
Meine Leute werden sich darum kümmern.«
Thea Gatz leerte ihren
Kaffee und stellte die Tasse auf Ulbrichts Schreibtisch ab. Dann
erhob sie sich und schlich zur Tür. Als sie die Tür schon
geöffnet hatte, drehte sie sich noch einmal zu ihm um.
»Meine Mutter ist eine geborene
Grotejohann.«
47
Montag, 10:10 Uhr,
Schwebebahnzug Nr. 4
Hans Zoch
lächelte nachdenklich, als er den vollbesetzten Schwebebahnzug
aus der Station Kluse in Fahrtrichtung Barmen steuerte. Gestern war
endlich sein Rentenbescheid gekommen. Dann würde er den
Lebensabend mit seiner Frau genießen, fernab von dem Stress,
den sein Beruf mit sich brachte. Die Triebwerke auf dem Dach der
Bahn summten leise, als der Zug Fahrt aufnahm. Kaum, dass er die
Station hinter sich gelassen hatte, erlosch das Bild auf dem
Farbmonitor an seiner rechten Seite. Er drückte den Fahrhebel
vor und beschleunigte die Bahn. Links lag jetzt das CineMaxx,
direkt daneben das Wuppertaler Schauspielhaus und die Disco
Pavillon. Zoch dachte an seine wilde Zeit. Damals war der Pavillon
noch ein BMW-Autohaus gewesen. Das Autohaus war längst an den
südlichen Stadtrand abgewandert, und ein findiger Unternehmer
hatte in dem leer stehenden Gebäude ein Bistro und eine
Discothek eröffnet. Jetzt freute er sich auf einen geruhsamen
Feierabend mit Hildchen, seiner Frau. Vielleicht würde er am
kommenden Wochenende mit ihr
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