Pinguine frieren nicht
Farbe ins Gesicht schmiert…«
»Und wozu?«
»Damit ihn keiner mag!«
Mit dieser Erklärung gab sich Sonja zufrieden, und sie klebten weiter ihre Anzeigen. Sie gingen bis zur U-Bahn-Station ›Niwki‹. Da gähnte Sonja, und Viktor trug sie auf den Armen nach Hause. Bevor sie auf seinen Armen einschlief, schenkte sie ihm die letzten fünf Anzeigen, und Viktor versprach, sie in Moskau auf dem Roten Platz aufzuhängen.
29
Moskau empfing Viktor mit strahlender Mittagssonne. Er hatte zu wenig geschlafen, und die Augen taten ihm weh. [173] In der Nacht und gegen Morgen hatte man ihn ein paarmal geweckt, mal die Zöllner, mal die Grenzwachen. Wer die russischen und wer die ukrainischen waren, konnte Viktor nicht erkennen. Die einen wie die anderen sprachen russisch, waren einigermaßen höflich, verlangten den Paß und fragten nach der Zahl seiner Gepäckstücke. Den polnischen Paß hatte er vorher in der Hosentasche in Sicherheit gebracht, neben der Kreditkarte, den Dollars und dem schon ziemlich mitgenommenen Umschlag mit dem Brief für Bronikowskis Witwe. Die zusammengerollte Hose hatte er die ganze Nacht unter dem Kopfkissen gehabt, dafür den ukrainischen Paß griffbereit unter eine Zeitung auf den Abteiltisch gelegt.
Jetzt stieg Viktor, Hose und Gesicht ein wenig zerknittert, hinaus auf den Bahnsteig.
»Gepäckträger?« fragte ein rotbackiger, kräftiger Mann, während er ein Wägelchen neben Viktor herschob. »Nur zehn Rubel pro Stück.«
Viktor schüttelte ablehnend den Kopf. Er rückte die Sporttasche auf der Schulter zurecht, sah sich um und überlegte. Als erstes mußte er sich wohl um ein Quartier kümmern. Seine Aufgabe war kaum in ein, zwei Tagen zu bewältigen, es war schon gut, wenn er in ein paar Tagen überhaupt Mischas Aufenthaltsort herausfand. Und wie dann weiter? Er hatte sicher nicht genug Geld, um ihn freizukaufen. Da mußte er einen anderen Weg finden. Aber welchen? Mischa war ja kein Auto, das man auf Bestellung knacken und davonfahren konnte… Auf einmal kam Viktor das Ziel seiner Reise fast unerreichbar vor; zwar war es nur das eine Ziel, aber das wichtigste. Das zweite Ziel – die [174] Brief- und Kreditkartenübergabe – war einfach zu erreichen. Adresse und Telefon standen auf dem Umschlag, er mußte nur anrufen. Aber da gab es im Restaurant Peking auch noch ein gewissen Bim und Freund von Sergej Pawlowitsch. Dieser Gedanke munterte Viktor auf.
Mit festen Schritten ging er den Bahnsteig entlang und mischte sich unter den Strom der Passagiere. Er kam an zwei Miliz-Sondereinheitlern mit kugelsicheren Westen und Maschinenpistolen vorbei, die den Ankommenden aufmerksam in die Gesichter starrten. Viktors Gesicht löste kein Interesse bei ihnen aus.
Die weiteren Überlegungen zu Quartier und Pinguin verschob Viktor auf später. Er beschloß, als erstes die Bankierswitwe anzurufen.
Bei der Witwe zu Hause war jedoch nur der Anrufbeantworter dran, der mit einer angenehmen Männerstimme verkündete, die Eheleute seien nicht da, riefen bei Angabe der Nummer aber gern später zurück.
Nach dem langen Piepton teilte Viktor dem Band mit, daß er einen Brief für die Frau des Hauses habe und gegen achtzehn Uhr noch mal anrufen werde. Er fügte noch hinzu, daß er Viktor hieß und sich in Moskau auf der Durchreise befand.
Er lief über die Straße, wo auf der gegenüberliegenden Seite ein etwas altmodisches Schild ›Café-Klub‹ etwas von Jugendszene ausstrahlte. Entschlossen trat er ein und fand sich in einem gewöhnlichen Internet-Café wieder. Vor ein paar Computern saßen Jugendliche bei Cola und Computerspielen. Nur ein Kunde, ein Japaner oder Koreaner, war mit dem Schreiben einer E-Mail beschäftigt.
[175] Viktor entdeckte die Theke, hinter der ein junger Dikker mit modischer Brille saß und ebenfalls durchs Netz pflügte. Rechts von ihm stand eine Kasse, auf dem Tisch an der Wand gab es eine Kaffeemaschine, einen Mikrowellenofen und Reihen von Plastikflaschen Cola, Pepsi und diversen Fantas.
»Haben Sie Tee?« fragte Viktor im Herantreten.
»Nur Beutel.«
»Dann machen Sie mir bitte einen.«
Der Dicke riß sich ungern von seinem Computer los. Er machte den Tee, stellte ihn vor Viktor hin und sagte: »Fünfundvierzig Rubel.«
Viktor sah ihn fragend an – der Preis schien ihm reichlich hoch für einen Tee.
»Computer Nummer neun«, antwortete der Dicke auf den fragenden Blick und wies mit einer Kopfbewegung in die Richtung.
Es stellte sich heraus, daß der Preis eines
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