Pinguine frieren nicht
betrunkenen Streiterei enden, beruhigte sich und begann sogar mitzumachen und das Geburtstagskind gutmütig zu necken.
Der Wodka war schnell aus. Das Essen auch. Die Stimmung war noch festlich, nur zum Feiern war nichts mehr da. Sewa starrte Asa nachdenklich an. In seinen Augen war eine ironische Frage zu lesen, die Asa offenbar auch schnell begriff. Er stand auf, verschwand in seinem Zimmer und kehrte mit einer Flasche armenischem Kognak wieder.
»Da, trinkt. Nur ohne mich, ich gehe spazieren!« sagte er.
Sewa öffnete den Kognak gekonnt und füllte sich und Viktor je einen halben Becher.
»Wir wollen nicht kleinlich sein«, sagte er lächelnd. »Den besten Toast habe ich, wie du siehst, für den Kognak reserviert!« Er hob den Becher. »Auf die Zukunft!«
Sie stießen wieder an, und wieder fror Viktors eigentlich fröhliche Miene für einen Moment ein, als das Metall der Becher schepperte.
Sewa kippte den Kognak in einem Zug hinunter, sah suchend über den Tisch und blieb mit dem Blick an der offenen Pflaumensoße hängen. Er nahm das Glas und trank etwas von der dicken, scharf-säuerlichen Soße. Dann wischte er sich mit dem Handrücken über die Lippen und stellte das Glas an seinen Platz.
[295] »Was willst du weiter machen?« fragte er auf einmal und sah Viktor in die Augen.
»Wie meinst du das?«
»Na, dann, in der Zukunft!«
Viktor dachte nach. Von seinen Plänen und Wünschen hatte er Sewa nie erzählt, und er hatte auch jetzt keine Lust dazu. Aber, wie es aussah, interessierte Sewa Viktors Antwort auch gar nicht, er wollte einfach von seinen eigenen Plänen reden, die er bis zu seinem Geburtstag geheimgehalten hatte.
»Also, ich verschwinde bald von hier!« flüsterte er und schielte vielsagend zur halboffenen Tür hinüber. »Weißt du, ich habe meinen Alten schon Geld von hier geschickt, und stell dir vor, sie haben es bekommen. Ich habe sie angerufen…«
»Von wo hast du angerufen?« wunderte sich Viktor.
»Es gibt ein Telefon hier, mit Satellitenantenne«, lachte Sewa. »Nur kommst du da nicht hin… Aber mich bringen sie bald nach Hause, ist schon alles verabredet. Nur kein Wort zu Asa. Sonst verkauft er mich, sie mögen uns nicht, die Aseris!«
»Und wer bringt dich? Die Tschetschenen?«
»Die Tschetschenen haben meinen Alten die Dollars geschickt, mit ›Western Union‹. Für zwanzig Prozent. Nein, diesmal helfen mir die Föderalen…«
Viktors Gesicht drückte seinen Zweifel aus, und als Sewa es bemerkte, verstummte er. Er musterte Viktor scharf, ließ sich aber schnell weiter fortreißen. Er verteilte den letzten Kognak auf die Becher.
»Ist mir scheißegal, ob du mir glaubst oder nicht! Ich [296] komme jedenfalls mit Dollars und Gold aus dem Krieg zurück, und du?«
»Und was willst du mit dem Goldklumpen machen?« fragte Viktor interessiert.
»Ich zersäge ihn in drei Teile«, antwortete Sewa offenherzig. »Für einen Teil kaufe ich mir eine Zweizimmerwohnung, die sind billig bei uns, nicht wie in Moskau, für den zweiten kaufe ich meine Frau ihren Alten ab, für den dritten Teil baue ich eine Bäckerei, und dann backe ich bis zur Rente Brot! Ein prima Geschäft, das bringt was ein. An die Ofenwärme bin ich ja schon gewöhnt. Ohne würde ich frieren.«
Viktor staunte aufrichtig über die Pläne des Jungen. Ernsthafte Vorhaben, da war nichts zu sagen.
»Und wieso mußt du deine Frau ihrer Familie abkaufen? Sind sie Usbeken oder Kirgisen?«
»Nein, Zigeuner.« Sewa verzog das Gesicht. »Eigentlich lassen sie ihre Mädchen keine Russen heiraten, aber für Gold doch. Sie ist ein tolles Mädchen, Maja…«
Viktor nickte. Er stellte sich Sewa im weißen Kittel und weißer Bäckersmütze vor, wie er ein Blech voll mit frischgebackenem, warmem Brot aus dem Ofen zog. Und, komisch, es gelang ihm. Und auf der Stelle verspürte er Lust auf Brot, frisches, weißes Brot. Solche Lust, daß es im Magen weh tat.
»Na los, jetzt trinken wir auf dich!« schlug Sewa vor und hob den Becher.
Viktor nickte. Seine Beziehung zu dem Jungen hatte sich auf einmal drastisch verbessert. Vielleicht kam es vom Alkohol, vielleicht auch, weil es ihr erstes richtiges Gespräch war.
[297] »Nimm noch Soße!« Zuvorkommend schob Sewa Viktor das Glas hin.
»Kennst du Chatschajew?« fragte Viktor, wischte sich mit dem Ärmel über den Mund und stellte das Glas mit dem Soßenrest wieder ab.
»Ja, ich habe ihn zweimal gesehen. Bei ihm habe ich ja telefoniert! Einmal mußte ich seinen Fernseher reparieren,
Weitere Kostenlose Bücher