Pinguine lieben nur einmal
Geschenke, sondern Umschläge mit Geld. Mein Bruder freut sich ein Loch in den Bauch, ich persönlich habe immer noch auf mein Amazon-Päckchen gehofft und sinniere weite Teile des Abends darüber, was das jetzt konkret über meine geistige Reife aussagt. Mein Bruder schenkt mir eine CD , die ich schon lange haben wollte, was ich sehr gelungen finde. Wenigstens einer hat meine Weihnachtswunschäußerungen ernst genommen und sich Gedanken gemacht. Ich sitze also mit der CD und einem Umschlag unter dem nicht vorhandenen Tannenbaum. Als mein Opa mit Wein und Cognac ankommt, traue ich mich zum ersten Mal, mir in Gegenwart meiner Familie einen Schwips anzutrinken. Weil ich nicht besonders viel rede, fällt es wenigstens nicht weiter auf. Erst als ich mich mit meiner Mutter und Fabi auf den Heimweg mache und mir beim Einsteigen ins Auto tollpatschig, wie ich bin, aufs Übelste den Kopf stoße, fragt meine Mutter: »War wohl ein Gläschen zu viel, was?«
Nein. Für das, was ich vorhabe, war die Anzahl an Gläschen genau richtig. Wahrscheinlich gibt sogar dieses eine Glas mehr den Ausschlag, dass ich mich auch traue, was ich mir für heute Abend vorgenommen habe.
FÜR EINEN MOMENT WAR ALLES SO EINFACH
Gegen zehn sind wir schon zu Hause.
Ich sitze auf meinem Bett, neben mir mein »beeindruckender« Stapel an Geschenken, und halte mein Handy in den Händen. Die Formulierung Ich halte mein Handy in den Händen ist eine wirklich schöne Alliteration. Ich kann also trotz Alkoholkonsums noch literarische Stilmittel verwenden, damit sollte es ein Klacks sein, einen läppischen Anruf bei meinem potenziellen Exfreund durchzuführen. Ich hoffe allerdings irgendwie noch immer, dass es jeden Moment klingelt, er mich anruft und schöne, entschuldigende und alleswiederheilmachende Sachen sagt. Aber natürlich klingelt es nicht.
Ich rufe Janoschs Festnetznummer an. Es geht keiner ran. Natürlich. Janosch ist bei seiner Familie und feiert ein Bilderbuchweihnachtsfest, in das ich sowieso nicht reinpassen würde. Da ich mir nun sicher sein kann, dass so schnell keiner an sein Festnetztelefon geht, rufe ich ungefähr zehnmal hintereinander an, jedoch ohne eine Nachricht zu hinterlassen.
Dann wähle ich im Handyspeicher Janoschs Handynummer aus und muss nur noch auf den grünen Hörer drücken. Mein Herz klopft wie noch nie in meinem Leben. Ich glaube, ich habe einen Infarkt. Männer kriegen Herzinfarkt. Lieber Herbie, es sollte besser heißen: Wegen Männern bekommt man Herzinfarkt.
Endlich drücke ich den grünen Hörer. Noch bevor überhaupt eine Verbindung hergestellt werden kann, lege ich jedoch wieder auf.
Ich warte eine halbe Stunde. Kann nicht stillsitzen. Gehe duschen. Gucke mit meiner Mutter eine Dreiviertelminute irgendeinen Teil der Stirb-Langsam -Filme. Oder ist es Lethal Weapon? Keine Ahnung. Warum werden an Weihnachten, zum sogenannten Fest der Liebe, eigentlich immer Actionfilme mit Bruce Willis oder Mel Gibson gezeigt?
Soooo… Fällt mir jetzt noch etwas ein, das mich davon abhält, bei Janosch anzurufen? Ich fürchte, nein.
Ich wandere wieder in mein Zimmer, sitze wieder auf meinem Bett, halte wieder das Handy in der Hand und muss wieder nur auf den grünen Hörer drücken und es schaffen, nicht gleich wieder aufzulegen.
Dann rufe ich an, ich tue es wirklich. Nach dem ersten Tuten geht die Mailbox dran. Super!
Eine Computerstimme rattert Janoschs Nummer herunter, um mir zu sagen, bei welchem Anschluss ich gelandet bin. Danke, das weiß ich auch so.
Damit bleibt mir nur noch eine Möglichkeit: Ich muss es heute tun, ich muss heute mit ihm sprechen. Erstens hat Sophie gedroht, mir sonst die Freundschaft aufzukündigen, und zweitens wird morgen kein Tropfen des angetrunkenen Muts mehr in meiner Blutbahn zirkulieren.
Besagte einzig verbleibende Möglichkeit ist, bei Pia anzurufen. Janoschs Mutter hat mir einmal so ziemlich alle Nummern der Familie Winter aufgeschrieben, »falls mal was passiert«. Worauf sich das bezog, hat sie mir nicht gesagt, weil sie den Teufel nicht an die sprichwörtliche Wand malen wollte. Normalerweise verschlampe ich solche Zettel, aber wo dieser ist, weiß ich ganz genau: in meinem Portemonnaie. Hinter meinem Personalausweis, der sich wiederum hinter meinem Studentenausweis befindet.
Plötzlich bin ich total enthusiastisch, stürme nach unten, krame erst nach dem Portemonnaie, dann nach dem Zettel, falte ihn auseinander und entdecke Pias Telefonnummer an zweiter Stelle.
»Was machst du
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