Pinguinwetter: Roman (German Edition)
weißen Blattes Papier, das vor mir auf dem Tisch lag. Dann zog ich in der Mitte einen Strich und schrieb auf die rechte Seite: Was ich nicht gut kann . Danach allerdings fiel mir nichts weiter ein.
Nur brainstormen, hat Mona gesagt, das wird doch nicht so schwer sein, Charlotte. Streng dich wenigstens ein bisschen an!
Zum Beispiel konnte ich gut … Sachen auftauen!
Oh, da fiel mir tatsächlich was ein: Ich konnte unheimlich gut auf Pflanzen aufpassen, wenn es nicht meine waren.
Letzten Sommer zum Beispiel, da hatte Mona mir ihre Kräutertöpfe anvertraut, und ich hatte ganze zwei Pflanzen durchgebracht.
Als Mona nach zwei Wochen aus ihrem Fuerteventura-Urlaub mit Fiese-Matenten-Georg als Single wiedergekommen war, war selbst sie über meine Erfolgsquote überrascht gewesen. Zwei von sieben war gut. Sogar hervorragend. Das hatte Mona mir zumindest glaubhaft versichert.
Zwar konnte es auch an den siebzehn Martinis gelegen haben, die Mona ab dem Zeitpunkt der Landung am Kölner Flughafen auf ex getrunken hatte, weil Fiese-Matenten-Georg das längst überfällige Praktikantinnen-Geständnis am karibisch anmutenden Strand von Sotavento bei sechsunddreißig Grad im Schatten gemacht und Mona im selben Moment verlassen hatte, um sich anschließend von den dort ansässigen Strandlaken-Verkäuferinnen eingehend beraten zu lassen.
Aber das kann hier nicht weiter verifiziert werden, also weiter im Text, dachte ich und schrieb auf die linke Seite: Auf Pflanzen aufpassen, wenn es nicht meine sind.
Das Gleiche konnte ich im Grunde auch über Kinder und Tiere sagen. Solange es nicht meine waren, verkörperte ich die perfekte Bespaßung für jedes Lebewesen unter achtzig Zentimetern und war in der Lage, jahrelange und mühevolle Erziehungsarbeit innerhalb von Rekordzeiten zu zerstören. Das musste in jedem Fall auch auf die linke Seite.
War Liegenbleiben auch ein Talent? Schnelllesen … das war ein Talent! Und schreiben, ja, das auch! Aber welcher Job verlangte ausdrücklich Qualitäten wie auf fremde Pflanzen, Kinder und Tiere aufpassen, Sachen auftauen, Liegenbleiben und Schnelllesen?
Ganz schön anstrengend, diese Brainstormerei!
Auf jeden Fall konnte ich nicht gut Witze erzählen, das hatte ich von Renate.
Apropos Renate: Nach der Eisbrecherinfo hatte sie sich nicht mehr gemeldet. Ob es ihr diesmal ernst war? Ich könnte Tante Marlene anrufen …
Sie war die ältere Schwester von Renate, außerdem meine Patentante, und sie wusste meist genau, in welcher – meist katastrophalen – Lage sich ihre jüngere Schwester befand.
»Diesmal macht sie ernst«, sagte Marlene. »Der Eisbrecherkapitän kommt nach der Saison sogar mit nach Köln.«
»Was?!?«
Ich konnte es kaum glauben. Meine Mutter wollte den armen Eisbrecherkapitän allen Ernstes ins Rheinland schleifen?
»Ja. Und es kommt noch besser: Jörn ist neunundzwanzig.«
»Bitte?!?«
Ich staunte nicht schlecht. So weit war Renate noch nie gegangen, Toy-Boy-Leidenschaft hin oder her. Der Trend ging ja eindeutig zum jüngeren Mann, das hatte Mona mir letztens erst aus einer Frauenzeitschrift vorgelesen, aber die eigene Mutter … Ich verdrängte weitere Gedanken zu dem Thema schnell.
»Na ja, sie behauptet zumindest, es sei für immer. In unserem letzten Gespräch ließ sie so etwas fallen wie ›feste Lebenspartnerschaft‹ oder so. Für Renates Verhältnisse ein regelrechter Durchbruch!«
Das konnte man wohl laut sagen! Wenn selbst meine Mutter jetzt den Mann fürs Leben gefunden hatte, konnte ich mich auf der Stelle in ein Grab aus Pringles und Schokoküssen versenken lassen. Anscheinend gab es für jeden den passenden Deckel, außer für mich. Und jetzt hatte ich noch nicht mal mehr einen Job, um mein lausiges Liebesleben durch Selbstverwirklichung zu ersetzen.
Renate wusste noch gar nichts davon. Vielleicht sollte ich wenigstens Tante Marlene beichten, in welch misslicher Lage ich mich befand …
»Kindchen, das ist aber doch nicht so schlimm«, kommentierte Tante Marlene meine bibbernd vorgetragene Beichte. »Tu doch was Gutes. Besuch deine Oma zum Beispiel. Jetzt hast du ja Zeit. Außerdem kommst du dann mal raus aus der stickigen, ozonbelasteten Stadtwohnung, und Oma würde sich freuen. Man sollte überschüssige freie Zeit immer nutzen, um etwas Gutes zu tun.«
Man musste wissen: Tante Marlene war das Paradebeispiel im Gutestun. Sie engagierte sich für UNICEF und Greenpeace und arbeitete ehrenamtlich beim Kinder- und Jugendtelefon. Sie weigerte
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