Pinguinwetter: Roman (German Edition)
Huskys gekauft? Und was ist überhaupt ein Pulka?
»Sag mal, Renate, muss ich mir Sorgen machen?«, fragte ich sie – und stellte erschreckt fest, dass ich den sonst so verhassten Mutterton in meiner eignen Stimme hörte. »Bist du sicher, dass du Huskys gekauft hast? Ich meine, echte?«
Ich konnte mich noch gut an meine ersten Erlebnisse mit Fred, unserer adipösen Goldfischdame, erinnern. Dass Fred eigentlich eine Sie war, wurde allerseits konsequent ignoriert. Ich war gerade fünf geworden und hatte Fred zum Geburtstag bekommen.
Es war Renates erster und gleichzeitig letzter Versuch, so zu sein wie die Mütter meiner Freundinnen, um die ich diese so beneidete, und mir das Gefühl zu vermitteln, es sei auch in unserer Familie durchaus möglich, eine bürgerliche Kindheit zu verleben.
Genau genommen waren es auch eigentlich Fred I. bis XIII. Denn Fred wurde ungefähr alle drei Wochen ausgetauscht, weil sie sich immer wieder mit gezielten Sprüngen aus dem Aquarium das Leben nahm.
Renate stellte Freds suizidale Lebensumstände deswegen aber nicht infrage, sondern fuhr einmal im Monat zur Tierhandlung, um Fred schnellstmöglich zu ersetzen.
Als die dreizehnte Fred morgens vertrocknet auf den Bodenfliesen aufzufinden war, hatte ich beschlossen, Nummer vierzehn in Ludwig umzutaufen, nach Ludwig dem XIV.
Spätestens nach Nummer fünf hatte ich damals begriffen, dass Fred heimlich ausgetauscht wurde, denn meine gut gemeinten Fütterungsaktionen blieben nicht ohne Konsequenzen: Fred platzte aus allen Nähten. Wenn sie nicht alleine im Aquarium herumgeschwommen wäre, hätte ich vermutet, dass sie langzeitschwanger gewesen wäre.
Nach Renates Austauschaktionen war Fred allerdings jedes Mal wieder erschlankt, und ich hatte aufs Neue mit meinen Mastaktionen begonnen.
Bis heute hatte ich mich nicht getraut, meiner Mutter zu beichten, dass ich sehr wohl wusste, dass es vierzehn Freds (oder genau genommen dreizehn Freds und einen Ludwig) gegeben hatte, denn ich wollte den ersten zaghaften Versuch, uns in der heilen, weil bürgerlichen Welt zu etablieren, nicht gänzlich niedermachen.
»Natürlich echte, was denkst du denn?« Renate war ganz entrüstet.
»Meinst du, ich sitze hier untätig rum? Ich werde meine eigenen Huskytouren organisieren. Spätestens in zwei Monaten bin ich so weit!«
Das kann sie doch unmöglich ernst meinen, oder?
»Dazu brauche ich sicherlich noch ein paar Tiere. Aber Jörn hat gute Kontakte. Du glaubst gar nicht, was man damit alles verdienen kann! Für sieben Tage Abfrieren unterm eiskalten Sternenhimmel inklusive Inuit-Besuch kann ich glatt zweieinhalbtausend Euro nehmen!«
Sie kann.
Renate klang derart euphorisch, dass ich fast vergaß, warum ich eigentlich angerufen hatte.
»Das klingt ja … spannend. Aufregend, meine ich.«
»Das ist es auch!«
»Was ich eigentlich sagen wollte …«, setzte ich an, wurde aber sofort wieder von meiner Mutter unterbrochen.
»Hast du meine Nachricht bekommen? Die mit der Heirat?«
»Ja«, antwortete ich enttäuscht, weil ich meinen Kummer schon wieder nicht loswerden konnte, »aber meinst du nicht, dass das Ganze ein wenig übereilt ist?«
»Übereilt? Wie kommst du denn darauf? Wir haben uns hier schließlich schon ganz schön was aufgebaut!«
Ich stellte mir gerade vor, wie Renate und ihr halb so alter Lover in Grönland auf einem Hundeschlitten zur Robbenjagd fuhren. Das einzige Wort, das mir in diesem Zusammenhang einfallen wollte, war: skurril.
»Er hat mich ganz romantisch gefragt«, erklärte Renate weiter. »Am Evighedsfjord! Bei schönstem Wetter! Ist das nicht traumhaft?«
Spätestens jetzt drängte sich mir eine plastische Vorstellung auf; mein Kopfkino lief auf Hochtouren. Ich stellte mir vor, wie Jörn mit seiner blutverschmierten, aber wasserdichten Anglerlatzhose vor Renate auf die Knie ging, neben ihm ein Berg gerade gehäuteter und womöglich noch zuckender Robbenbabys, in der einen plastikbehandschuhten Hand ein riesiges blutiges Schlachtmesser und in der anderen den Ring für meine Mutter.
»Äh. Ja. Absolut traumhaft«, gab ich zurück.
Es war wie immer. Wie hatte ich auch glauben können, dass Renate ein offenes Ohr für meine Probleme haben könnte? Sie war so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie wahrscheinlich noch nicht mal wissen wollte, warum ich überhaupt angerufen hatte. Im Grunde hatte ich mich über die Jahre ja auch daran gewöhnt. Trotzdem wäre es schön gewesen, mich mal an Renates Schulter – wenn
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