Pinien sind stumme Zeugen
Zweiten Weltkriegs registriert.
Tombolo, die Enklave des Verbrechens, lag durch den alliierten Vormarsch nicht mehr als neutrale Pufferzone zwischen den Fronten, blieb aber weiterhin für die US-Armee und die italienische Polizei verbotenes Terrain, und das auf Jahre hinaus. Höchstens in Randgebiete wagten Streifen Razzien mit sehr mäßigem Erfolg.
In der Pineta wurde der Zusammenschluss der Nicht-Kriminellen, der ihr Überleben ermöglichte, immer schwieriger, weil die anständigen Elemente – versprengte Soldaten und untergetauchte Regime-Gegner, die nichts zu befürchten hatten – Italiens Schandfleck jetzt verlassen konnten. Ehemalige deutsche Soldaten hatten es schwerer; ihnen drohte nach wie vor die Kriegsgefangenschaft, und die konnte ebenso in die nordafrikanische Wüste wie in die französischen Kohlenbergwerke führen.
Zunächst einmal besserte der Gorilla für sich und seine Freunde Panizza und Sollfrei durch rege Geschäfte an der ›Borsa nera‹ die Fluchtkasse auf. Es war nicht schwierig. Der Schwarzhandel, von den riesigen US-Depots unfreiwillig alimentiert, florierte wie nie zuvor.
Wie nie zuvor grassierten auch die Geschlechtskrankheiten. Die meisten Käuflichen weigerten sich, Pinien-Babylon zu verlassen, um sich sanieren zu lassen. Regen und Wind hatten die Kreuze an den Bäumen verwaschen, aber immer neue waren hinzugekommen, so wie immer neue Scharen von Lotter-Novizinnen in den Dschungel strömten.
Segnorine promenierten an den Unterkünften farbiger US-Soldaten in der zerstörten Hafenstadt Livorno vorbei, schlichen sich in ihre Quartiere und überredeten die GIs zur Fahnenflucht. Als die Offiziere den Ausgang sperrten, kletterten sie nachts über die Zäune. Nutten, die von der Militärpolizei aufgegriffen wurden, karrte man gleich in das Krankenhaus von Livorno. Im ›Pavillon Nr. 5‹ spielten sich verheerende Szenen ab: Patientinnen zerrissen die Bettlaken, knüpften sie zu Seilen und ließen sich an den Fenstern hinab, tauchten wieder in der Pineta unter und infizierten unzählige Amerikaner, Filipinos, Brasilianer, Inder und andere Freier.
Aus ganz Italien kamen verlassene Ehemänner nach Tombolo und suchten ihre entlaufenen Frauen, Väter ihre Töchter. Messerstechereien und Morde waren Alltag. Viele Frauen wurden schwanger und töteten mitunter gleich nach der Geburt die neugeborenen Mulatten. Die farbigen Väter, außer sich vor Wut, brachten dafür die weißen Mütter um.
Abwehrspezialisten der US-Armee schätzten, daß fast eine Division Soldaten nötig gewesen wäre, um das Feuer der landschaftlich herrlich gelegenen Hölle auszutreten. Mehrere Anläufe – auch unterstützt von freiwilligen deutschen PoWs – scheiterten: Tombolo blieb Italiens schwärende Eiterbeule.
Das Trio von Tombolo, verstärkt durch die Luftwaffenhelferin Erika, die bald Kopetzky heißen würde, wollte sich nach Südtirol durchschlagen, sobald sich die Wogen berechtigten wie blinden Hasses und notwendiger wie angemaßter Vergeltung abgekühlt hätten.
Auch die Gotenstellung war als Auffanglinie nicht zu halten. Der deutsche Oberbefehlshaber Süd-West mußte seine Truppen auf die Grüne Linie La Spezia-Apennin-Rimini zurücknehmen. Ein langer und kalter Winter ließ die Front erstarren. Im Frühjahr würden die Angloamerikaner bei einer Generaloffensive von Küste zu Küste dann den völligen Zusammenbruch der deutschen Verteidigung schaffen.
Längst bevor das Trommelfeuer einsetzte, glich die nördliche Apenninhalbinsel einem offenen Pulverfass. Selbst Italiener, die sich bisher aus allem herausgehalten hatten, wollten nunmehr verhindern, daß ihr Land zu verbrannter Erde würde, zumal vorwiegend im Norden die Industrie angesiedelt war. In Mussolinis Republik von Salò, die nun besetztes Gebiet war, machte eine inzwischen gut organisierte und modern ausgerüstete Resistenza dicht hinter der Front den ehemaligen Verbündeten schwer zu schaffen. Bürgerliche, liberale, sozialistische und vor allem kommunistische Gruppen sprengten deutsche Nachschublager, überfielen Transportkolonnen, unterbrachen Straßen und töteten Soldaten bis hinauf zum General. In einer einzigen Nacht zerstörten CLN-Freischärler westlich von Turin sämtliche Schienenstränge.
In den apuanischen Alpen, in Piemont, Ligurien, der Emilia und in der Lombardei beherrschten die Partisanen jetzt 43 Gebiete mit von ihnen eingesetzten Verwaltungen. Geführt von alliierten Agenten wie James A. Partaker, Craig Ginty, Mike
Weitere Kostenlose Bücher